
Die Staatsschulden dürfen maximal 60 Prozent der Wirtschaftsleistung erreichen, gilt als Mantra und als für alle Mitgliedsstaaten Obergrenze in der EU. Eine aktuelle Studie des wiiw-Ökonomen Philipp Heimberger sieht aber für diese pauschale Forderung keine wissenschaftliche Basis. Es gebe keine Belege dafür, dass ab einer gewissen Höhe Staatsschulden das Wachstum bremsen, sagte er am Mittwoch bei der Vorstellung der Ergebnisse seiner Arbeit.
Vielmehr gebe es „sehr starke“ Belege, dass Arbeiten, die einen negativen Effekt hoher Schulden auf das Wirtschaftswachstum zeigen, eher publiziert werden. Rechne man diesen „publication bias“ heraus, lasse sich keine allgemeingültige Obergrenze mehr nachweisen, ab der Schulden das Wirtschaftswachstum bremsen. „Hören Sie auf, über magische Grenzen bei der Staatsverschuldung als Anteil am BIP zu sprechen“, empfiehlt Heimberger. Seine Arbeit zeigt auch, dass die errechneten Obergrenzen für Schulden je nach Studie sehr unterschiedlich ausfallen. Auch das sei ein Beleg dafür, dass die Grundannahmen der einzelnen Studien die Ergebnisse maßgeblich prägten.
Heimberger betont aber zugleich, dass die Höhe der Verschuldung selbstverständlich eine Rolle spiele und kein Land beliebig hohe Schulden verkraften könne. Dies müsse aber für jedes Land einzeln betrachtet werden. Die Struktur der Schulden – beispielsweise bei wem und wie langfristig die Schulden aufgenommen wurden – sei wichtiger als deren Höhe. Auch die Haltung und Effizienz der geldpolitischen Institutionen wie Zentralbanken spiele eine entscheidende Rolle.
Die vom OeNB-Jubiläumsfonds geförderte Arbeit wurde im wiiw öffentlich vorgestellt. In der Diskussion waren sich Heimberger und wiiw-Forscher Karl Pichelmann einig, dass die wenigsten Studien zur Auswirkung von Staatsschulden auf das Wachstum den Mechanismus offenlegen, über den die Wirkung kommt. Heimberger geht davon aus, dass es auch eine „umgekehrte Kausalität“ geben könnte, dass also das geringere Wachstum zu höheren Schulden führt.
Pichelmann wies darauf hin, dass die wirtschaftspolitische Diskussion langsam abrücke von den starren Schuldenkriterien, wie sie in den Maastricht-Regeln der EU festgezurrt sind. Noch stärker hinterfragt werde das in der EU vorgegebene Tempo der Schuldenreduktion, sobald die Höchstgrenzen überschritten werden. „Das einheitliche Tempo bei der Schuldenreduktion ist wissenschaftlicher Unsinn und gefährlich“ so Pichelmann. Die Wissenschaft diskutiere inzwischen verstärkt die Kanäle, über die sich Schulden auswirken, und wie fiskale Nachhaltigkeit erzielt werden kann – „mit allen Problemen, die damit verbunden sind“. Die Debatte zentriere sich sozusagen um die Schaffung eines „Handbuchs für fiskale Nachhaltigkeit“, so Pichelmann.
Heimberger stimmte dieser Analyse zu und verwies seinerseits auf die von der EU-Kommission zur Diskussion gestellten neuen Fiskalregeln. Diese sähen Vorhersagen für die Staatsverschuldung vor und leiten daraus eine mehrjährige Fiskalpolitik für jedes EU-Land ab. Eine Reform in diese Richtung sei sehr wahrscheinlich – das werde aber wieder zu einer heftigen Diskussion über die Annahmen für diese Fiskalpolitik führen, so Heimberger mit einem Schmunzeln.