Zoom ins widersprüchliche Europa

Linzer Filmfestival Crossing Europe startet am 27. April mit 148 Filmen im „Sehnsuchtsort Kino“

„Freaks Out“
„Freaks Out“ © Crossing Europe

Es ist Österreichs drittgrößtes Filmfestival und findet heuer wieder wie einst, also Mensch im Kino, in Linz statt.

„Das Kino als Sehnsuchtsort ist eines unserer Leitmotive“, betont Sabine Gebetsroither, gemeinsam mit Katharina Riedler neue Festivalleiterin von Crossing Europe.

Fürs Festival-Feeling von 27. April bis 2. Mai sorgt auch ein wieder stattfindendes Rahmenprogramm inklusive musikalischer Unterhaltung am OK-Platz und Mediendeck, „so wie es früher einmal war“, freut sich Riedler.

Ungeschönte Blicke auf Kannibalen und Stifter

Kenneth Branaghs Oscar-Beitrag „Belfast“ führt ins Nordirland der 60er und bleibt nostalgisch und artifiziell. In „Young Plato“von Neasa Ni Chianain und Declan McGrath — zu sehen bei Crossing Europe — ist von einer Distanziertheit nichts zu spüren. Die Dokumentation zoomt direkt hinein in den Ort der alten Konflikte und zeigt ungeschönt den Leiter eine Schule, der den Buben die Gewalt mit Herzensbildung austreibt.

Crossing Europe begibt sich gewohnt ganz tief hinein ins Europa unserer Zeit mit alle seinen Abgründen, Widersprüchlichkeiten, aber auch Schönheiten und Freuden und zeigt anspruchsvolles europäisches Filmschaffen. Insgesamt sind 148 Filme am Start, davon 91 Premieren. In den vier Wettbewerben werden insgesamt Preise im Wert von rund 26.500 Euro vergeben.

Das diesjährige Tribute ist dem belgischen Filmemacher Fabrice du Welz gewidmet, der seine „Thriller mit feiner Klinge“ gestaltet, so Gebetsroither. Sein aktueller Film „Inexorable“ ist einer der Eröffnungsfilme des Festivals und konfrontiert eine Familie mit einer „Nanny aus der Hölle“. Die gebürtige Oberösterreicherin Sophie Rois ist ebenso wie Welz zu Gast bei der Eröffnung, wo auch „A E I O U“ von Nicolette Krebitz gezeigt wird, in dem Rois die Hauptrolle der Anna übernimmt, die sich mit einem 17-Jährigen in einer Beziehung versucht. Aus der Reihe Nachtsicht brütet zur Eröffnung in „Hatching“ (Hanna Bergholm) die Teenager-Tochter einer entsetzlich fröhlichen Familie eine Horror-Überraschung aus. Ansonsten bewegt sich die Reihe zwischen Zirkus-Freaks im faschistischen Italien der 1940er („Freaks Out“, Gabriele Mainetti), französischen Veganer-Kanibalen („Some like it rare“, Fabrice Éboué), in tiefen lettischen Wäldern („Upurga“, Ugis Olte).

Stark vertreten im heurigen Crossing-Europe-Programm auch wieder die oberösterreichischen Filmschaffenden in der Sektion „local artists“, etwa mit „Para:dies“ von Elena Wolff und Julia Windischbauer oder „Der Weihnachtsmann“von Joachim Iseni. Aus über 100 Einreichungen wurden 42 Kurzfilme ausgewählt, die Bandbreite reicht von einem Welser Hochhaus („Lost“, Barbara Rettig, Marcel Pürstinger, Magdalena Jahn, Leon Fasthuber) bis zu Adalbert Stifter („Adalbert Stifter/24 Ansichten“, Edith Stauber), Dinko Draganovic‘ in einer einzigen Einstellung gedrehten „Kids on the Moon“ und dem Video von Kurt Razelli und Markus Kaiser-Mühlecker zum fantastischen Song „Vöest“ von Austrofred und Razelli.

Die Schiene Arbeitswelten widmet sich heuer Filmen, die mit sich mit Sorgearbeit auseinandersetzten – vom Schafehüten („Considering the Ends“, Elsa Maury) bis zum Porträt einer Hebamme („Sheroes“, Aude Pépin) und Einblicke in eine Palliativ-Station („Intensive Life Unit“, Adéla Komrzý). Das diesjährige Thema der Sektion Architektur und Gesellschaft ist „Boden für Alle!“ und spiegelt sich in drei Dokus und einer hybriden Arbeit. Die Jugend und ihre sich rasant wandelnden Lebenswelten sind in der Kategorie „Yaaas!“ mit eigenem Wettbewerb und ganz praktisch mit Workshops und Werkstattgesprächen stark vertreten.

Ein Film über das Leben vor dem Krieg

Pandemiebedingte Sicherheitsmaßnahmen wird es auch beim heurigen Festival wieder geben, filmisch schlägt sich die Thematik etwa im Dokumentarfilm „The Balcony Movie“ von Pawel Lozinski nieder.

Die Erlöse der Vorstellung am 1. Mai (14.30 Uhr) im Ursulinensaal gehen an eine karitative Einrichtung. Gezeigt wird der Spielfilm „Stop-Zemlia“ der ukrainischen Filmemacherin Kateryna Gornostai, der das Leben vor dem russischen Angriff auf die Ukraine zeigt. Denn das alles ist unser Europa. mmo

Alle Filme, Festivalorte und Tickets: www.crossingeurope.at

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