Zukunftsforscher Matthias Horx: „Polarisierer werden die Zukunft nicht gestalten“

Zukunftsforscher Matthias Horx glaubt an eine bessere Welt nach Corona

Matthias Horx: Chancen für eine Abwahl Donald Trumps sind gestiegen.
Matthias Horx: Chancen für eine Abwahl Donald Trumps sind gestiegen. © www.horx.com/ Klaus Vyhnalek (www.vyhnalek.com)

Die Corona-Krise beflügelt die Zunft der Zukunftsforscher. Denn alle wollen wissen, wie die Welt danach sein wird.

Matthias Horx sieht eine bessere — vielleicht auch eine ohne Donald Trump.

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VOLKSBLATT: Was hat Corona in ihrem Leben nachhaltig verändert?

MATTHIAS HORX: Im Leben eines Zukunftsforschers hat es vorher schon vorhandene Elemente verstärkt – also dieses Gefühl einer sich zuspitzenden Weltlage, einer Vorahnung von Krise. Sonst habe ich erlebt, was viele andere auch erlebt haben: Dass viele Dinge, von denen man vorher glaubte, ohne sie nicht auskommen zu können, doch ganz gut verzichtbar waren. Ich war ein Vielreisender und erstaunlicherweise stellt es sich als Gewinn heraus, manches nicht mehr tun zu können. Ich habe zum Beispiel meine Garten erstmals so hingekriegt, dass ich stolz darauf sein kann.

Inwiefern ist das nachhaltig?

Es gibt Menschen, die versuchen, immer wieder ins Gewohnte zurückzugehen. Das wird aber nicht so einfach sein. Denn das Virus ist eine Botschaft, die uns nicht verlassen wird. Auch wenn wir einen Impfstoff finden, ist es eine Tatsache, dass unsere Möglichkeiten des immer mehr und immer schneller begrenzt sind.

Sie haben schon im März in ihrer „Re-Gnose“ ein geradezu sozialromantisches Szenario gezeichnet von einer Gesellschaft, „in der Familien, Freunde und Nachbarn näher zusammengerückt sind und „verborgene Konflikte gelöst“ wurden. Man hat den Eindruck, dass das eher vorübergehende Phänomene gewesen sein könnten.

Krisen weisen uns ja auf etwas hin, was existentiell wichtig ist, und daraus ergeben sich auch neue Möglichkeiten von Erkenntnis und Verbesserung. Ich glaube, dass die Medien grundsätzlich das Negative suchen. Aber wenn man ein bisschen hinhört in die Welt, entscheiden sich ja gerade die verschiedenen Wege im Umgang mit der Krise. Dort, wo wir ein Stück weit auch in die Politik vertraut haben, als Gesellschaft zusammengefunden haben, haben wir das Virus ja relativ gut zurückgedrängt. Dazu gehört auch Österreich. Dort, wo das nicht geschah, wie in den USA sieht, werden die Brüche in der Gesellschaft massiv verstärkt. Dabei entstehen aber auch neue Gegenkräfte, wie man in der Rebellion gegen den Rassismus sehen kann. Ich glaube, dass diese Krise massiv den ökologischen Wandel beschleunigt. Das liegt eben auch daran, dass das Virus Dinge brutal ausleuchtet – zum Beispiel die Verhältnisse in deutschen Schlachthöfen oder die „Virenhaftigkeit“ der Kreuzfahrtschiffe.

Wenn man die – national wie international – bereits tobenden Verteilungskämpfe betrachtet, kann da Klimaschutz in globalem Maßstab noch eine Chance haben?

Ich sehe auch andere Anzeichen. Europa hat natürlich Konflikte, aber ich sehe auch, dass es einen großen Willen zur Solidarität gibt und dass sich Europa in dieser Krise gar nicht so schlecht verhält. Meine These ist, dass die europäischen Gesellschaften ein Stück weit geeint worden sind. Selbst in Italien, das besonders schlimm getroffen wurde, glaube ich, dass sich ein neues Gesellschaftsverständnis entwickelt. Die Debatten, wer was bekommt, wird es natürlich immer geben, aber das nur negativ zu konnotieren, ist unverantwortlich. Es gibt, gerade für den Journalismus, auch eine Pflicht zur Zuversicht.

Sie sehen die Welt Richtung „Glokalisierung“ driften. Tut sie das wirklich und wenn ja, können sich von der Vernetzung lebende Volkswirtschaften in Europa Deglobalisierung überhaupt wünschen?

Es geht nicht darum, was wir uns wünschen oder worauf wir beharren, sondern wie die Realität ist, und die legt das Virus frei. Das Modell der letzten 30 Jahre Globalisierung hat sich als nicht nachhaltig erwiesen hat. Wir haben industrielle Produktion in Billiglohnländer ausgelagert mit allen Konsequenzen. Das wird so nicht mehr funktionieren, weil diese Produktionsweisen enorme soziale und ökologische Folgeschäden verursachen. Das führt dazu, dass wir bestimmte Produktionen wieder zurückholen werden. Das erzeugt eine neue Struktur von Glokalisierung. Wir werden wieder mehr regional produzieren, aber die Globalisierung wird deshalb nicht einfach aufhören.

Das bedeutet aber auch eine andere Kostenstruktur und die Einsicht, dass Billigprodukte aus Asien Vergangenheit sind.

Das ist richtig, weil natürlich in diesen günstigen Preisen die wahren Kosten verborgen waren.

Aber sehr viele Konsumenten wollen billige Produkte.

Sie nehmen billige Produkte, wenn sie angeboten werden und der Preis der entscheidende Unterschied ist, wenn man Qualität nicht mehr wahrnimmt. Ob sie das so wollen, ist auch gar nicht die Frage – es wird einfach nicht gehen. Punkt.

Sie würdigten zu Beginn der Krise die „mächtige kollektive Kompetenz“, welche China bei der Bekämpfung des Virus bewiesen habe. Könnte zu den Verlierern der Krise also auch die Demokratie zählen?

Die Demokratie hat sich durchaus bewährt. Wenn Gesellschaften mit Bedrohungen konfrontiert werden, kommt es auf eine aktive Zivilgesellschaft an. China hat eine andere Geschichte, deshalb entwickeln sich dort Differenzierungsprozesse schwieriger und langsamer. Das ist ein Problem. Was China aber kann, ist, wissenschaftliche Begründungen zu nutzen für politisches Handeln. Und das ist das, was in den USA oder Brasilien derzeit fehlt.

Aber gerade das System China hat doch bewirkt, dass wissenschaftliche Erkenntnisse über die Gefährlichkeit des Virus von der Politik unterdrückt wurden.

Aber nicht viel länger als die Ischgl-Krise von der österreichischen Politik verborgen wurde.

Sie haben Epidemien historisch betrachtet als eine Art biologische Selektion („Survival of the fittest“) beschrieben, die aber die Menschlichkeit letztlich voranbringe. Ist das angesichts der Tatsache, dass Corona vor allem Alte und Kranke tötet, nicht eine problematisch Sichtweise?

Wenn man seinen Darwin verstanden hat, ist mit „fittest“ nicht der Stärkste und Mächtigste gemeint, sondern der am besten angepasste und intelligenteste Organismus. In dieser Krise haben sich soziale Umgangsformen bewährt oder eben auch nicht. In Amerika ist das eben nicht der Fall. Auch die soziale Evolution ist davon geprägt, was funktioniert. Das wird positiv ausgelesen im Sinne von, dass es weitergeht, dass eine Zukunfts-chance entsteht. Ich vertrete die These, dass solidarische Gesellschaften sich gerade in solchen Krisen leichter tun, sich zu bewähren.

Corona hat das Thema Terror verdrängt. Müssen wir uns aber nicht darauf einstellen, dass auch Terroristen Lehren aus der Pandemie ziehen und erkennen, dass ein Virus effektiver terrorisieren kann als 1000 Bombengürtelträger?

Wofür wir uns fürchten müssen, ist die permanente Verängstigung der Kultur, die letztendlich auch den Terrorismus speist. Wenn wir unentwegt nur nach der Angst fragen, verstärken wir nur diese Angst, die der Terrorismus braucht.

Sie sehen in denen, die die Sprache der Komplexität sprechen, die Führer von morgen. Was meinen Sie damit?

Die Welt ist komplex geworden. Wir werden das Virus weder mit rechtem oder linkem Gedankengut bekämpfen können oder mit Reduktionismen, die alles auf ein einziges Prinzip zurückführen, wie es der Populismus macht. Wir haben ja in dieser Krise gesehen, wie der Populismus mit seinen einfachen emotionalen Antworten versagt und wie er endlich einmal an den Rand des politischen Geschehens gedrängt wird. Erfolg hatten in dieser Krise Menschen, die gesagt haben, die Wirklichkeit ist schwierig und wir müssen mit verschiedenen Mitteln auf verschiedenen Ebene darauf eingehen. Diese Differenzierung hat uns auch gut getan. Das ist eine Botschaft der Hoffnung. Die komplexen, reflektiven Weltbilder haben eine Stärkung erfahren. Dass Hass, Spaltung und Vereinfachung eigentlich das Grundübel sind, das ist durch die Corona-Herausforderung deutlicher geworden. Ich glaube daher auch, dass die Chancen für eine Abwahl Donald Trumps sehr gestiegen sind. Die Polarisierer, die uns Wundermittel versprechen, werden die Zukunft nicht gestalten können.

Mit MATTHIAS HORX sprach Manfred MAURER

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