Valentin Schwarz, geboren am 12. April 1989 im oberösterreichischen Altmünster, studierte in Wien unter anderem Musiktheaterregie und legte in dieser Zeit erste Produktionen vor. Er ist nicht neu am Grünen Hügel, war er doch schon 2009 Stipendiat der Wagner-Stipendienstiftung. Und doch ist er neu in der wohl bedeutendsten Rolle, welche die Welt des Musiktheaters zu vergeben hat: Die Neuinszenierung des „Ring des Nibelungen“ für die Festspiele von Bayreuth. Mit 33 Jahren übernimmt er nun diese wichtige Aufgabe.
Um mit der Sportreporterfrage zu beginnen: Wie geht es Ihnen so kurz vor der Premiere Ihres bisherigen Karrierehöhepunkts?
Valentin Schwarz: Wir sind hier im Endspurt – der „Ring“ rundet sich langsam. Die Vorbereitung liegen ja schon sehr lange zurück, und die Sänger scharren in den Startlöchern und sind unglaublich motiviert, das Erarbeitete endlich präsentieren zu dürfen. Das trägt auch mich.
Haben Sie Ihren „Ring“ nach der künstlerischen Vollbremsung 2020 noch adaptiert? Man verändert sich ja auch als Mensch in diesem langen Zeitraum…
Schwarz: Natürlich ist das Konzept dasselbe geblieben. Aber „Der Ring“ arbeitet in einem weiter, es gilt, an einzelnen Dingen weiter zu feilen. Man blickt auf manche Szenen anders als vorher, das schon.
Welcher Faktor ist für Sie der entscheidende, ob eine Inszenierung ein Erfolg ist oder nicht?
Schwarz: Das ist nicht die Publikumsreaktion und genauso wenig das Presseecho oder die Frage, was der oder jener denkt. Das ist mein persönlicher Erfolg – oder mein Scheitern. Habe ich das erreicht, was ich erreichen wollte? Gerade die Geschichte in Bayreuth zeigt, dass etwa die Kultaufführung von Patrice Chéreaus „Ring“ in den ersten Jahren auf heftigen Widerstand traf. Reaktionen können sich wandeln. Man muss nicht auf seinem Standpunkt beharren wie bei Talkrunden im Fernsehen. Die klitzekleine Möglichkeit offenzulassen, dass die eigene Meinung vielleicht doch nicht der Weisheit letzter Schluss ist, das bringt uns als Gesellschaft weiter.
Der „Ring“ kann sehr vielschichtig als Familientragödie, Fantasy-Abenteuer oder philosophische Welterklärung gelesen werden. Auf welche der Lesarten fokussieren Sie sich?
Schwarz: Beim „Ring“ geht es um eine Großfamilie. Es gehört schon viel Fantasie dazu, diese Verwandtschaftsbeziehungen nicht mitzudenken. Innerfamiliäre Konflikte psychologisch fesselnd in dieser Großfamilie zu zeigen, das bietet heute das große Identifikationspotenzial. Das sind Menschen, die uns teils als Spiegelbilder gleichen. Der strahlende Held geht über Leichen und der Bösewicht hat guten Grund für sein Sosein. Diese Figuren will ich über mehrere Abende hinweg begleiten und in ihren Facetten ausspreizen. Ich sehe den „Ring“ da in einer Reihe mit großen Gesellschaftsromanen von Tolstoi, Joyce oder Proust.
Es geht Ihnen darum, den „Ring“ an die heutige Zuschauerschaft zu binden und nicht um eine Brechung der Traditionen oder eine Dekonstruktion des Genres?
Schwarz: 150 Jahre „Ring“-Rezeption in Bayreuth hat nur einen gemeinsamen Nenner: Man kann den „Ring“ nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Jede Inszenierung hat ihre eigenen Meriten und Missstände. Die Erfahrung, Teil dieser Geschichte zu sein, gibt mir die Sicherheit, dass es bei der Oper immer um eine Momentkunst geht. Es geht nicht um Statements für die Ewigkeit. Da auf große Welterklärung zu machen, erscheint mir eitel. Aber etwas anbieten zu dürfen, das man noch nie gesehen hat, das freut mich.
Hat sich Ihr Verhältnis zu Wagner als Person über die Zeit hinweg verändert?
Schwarz: Man geht bei Wagner als Mensch ja durch verschiedene Stadien. Die Faszination für die Märchenstoffe weicht irgendwann der Empörung über ihn als Antisemiten. Aber was für mich beim „Ring“ besonders eindrücklich war, ist, wie tief Wagner als Psychologe die Figuren begleitet. Das Werk ist klüger als sein Schöpfer. Was da alles drin steckt, das hat sich Wagner nicht träumen können. Dass das Staunen über diese Momente nicht in blinde Verehrung abgleitet, dafür müssen wir alle Sorge tragen!