„Weißt Du, was Du sahst?“

Die Wiener Staatsoper streamte ihren neuen „Parsifal“

Elina Garanca (Kundry)
Elina Garanca (Kundry) © ORF/Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Richard Wagners „Parsifal“, das von ihm selbst so genannte „Bühnenweihfestspiel“, ist End- und Höhepunkt seines beispiellosen Schaffens und eine bekannt beispiellose Herausforderung für alle Interpreten.

Schwerer als die Wiener Staatsoper konnte man es diesmal zusätzlich gar nicht haben — die scharfen Corona-Bedingungen, die die Entstehung ebenso behinderten wie die Live-Produktion verhinderten; ein Regisseur, der seine Heimat nicht verlassen durfte und nur per Zoom aus Russland zugeschaltet war; schließlich die Länge des Werks (auch ohne die beiden Pausen noch gut über vier Stunden), die die übliche Ausstrahlung bei ORF III verhinderte und das interessierte Publikum auf den Stream von ArteConcert verwies.

Aber solche Umstände und eine Besetzung mit zwei der absoluten Weltstars der Oper brachte auch entsprechende Publicity, inklusive eines etwas geschmäcklerischen „Einführungsabends“ des ORF.

Entscheidend ist allerdings, was man als Aufführung in der Gestaltung des russischen Regisseurs Kirill Serebrennikov sah, dem man bisher eher als systemkritisches Opfer des Regimes denn als Regisseur begegnet ist. Nun, er hat eine der heute üblichen „Übersetzungen“ geliefert. Parsifal kam von der Gralsburg geradewegs ins Gefängnis.

„Weißt Du, was Du sahst?“ fragt Gurnemanz an einer Stelle Parsifal, und als Zuschauer könnte man die Frage nicht ernsthaft bejahen. Was Serebrennikov zusammengestoppelt hat, als Rückblende-Erlebnis des alten Parsifal interpretiert (der solcherart in ein altes und junges Ich verdoppelt wurde), brutale Gefängnisszenen, eine Zeitungsredaktion, wo alberne Sekretärinnen statt Wagners Blumenmädchen walten, wieder Gefängnis mit mühevoll konstruierter „Erlösung“.

Rätsel über Rätsel in zahllosen Details, vor allem in den Videosequenzen, die schier unaufhörlich über der Bühne laufen, die nicht aufzuschlüsseln sind, und vor allem kein sichtbarer Zusammenhang mit Wagners Handlung und dem, was man auf der Bühne sieht — eine typisch heutige Inszenierung, die im allgemeinen viel Lob im Feuilleton findet und beim Publikum (zumal bei Wagner-Kennern) nur Kopfschütteln hervorrufen kann.

Grandios: Elina Garanca und Jonas Kaufmann

Zumindest ist der Abend nicht zur Parodie entartet. Und wenn man die Augen schließt, eine hörenswerte Aufführung, die der Musikdirektor des Hauses, Philippe Jordan, wirkungsvoll, aber nicht effekthascherisch geleitet hat, den Musikteppich unter ein Geschehen legend, das zumindest von den Sängern der Hauptrollen erfüllt wurde Denn Jonas Kaufmann als Titelheld war glänzend wie selten in Ausdruck und der Gesangslinie, und Elina Garancas Kundry-Debut gelang brillant, wenn die Figur, die sie spielen musste (Kundry, die Wagner’sche Zauberin, als Journalistin), auch nicht wirklich Hand und Fuß hatte.

Solide Besetzungen in den anderen Rollen, die von der Regie her in den Hintergrund gedrängt wurden. Alles in allem — über weite Stecken durchaus fesselndes Theater, aber „Parsifal“?

Auf ArteConcert (www.arte.tv) gratis verfügbar bis 17. Juli 2021