Die aus Wien stammende Literatin und Literaturwissenschafterin Lore Segal ist gestern, Montag, 96-jährig in ihrer New Yorker Wohnung im Kreise der Familie gestorben. Entsprechende Medienmeldungen bestätigte man am Dienstag im Bezirksmuseum Josefstadt, wo derzeit die Ausstellung „‚Ich wollte Wien liebhaben, habe mich aber nicht getraut‘. Das Leben der Schriftstellerin Lore Segal“ zu sehen ist. 2018 wurde die 1938 aus Wien Vertriebene mit dem Theodor Kramer Preis ausgezeichnet.
Segal habe Figuren eine Stimme gegeben, für die Erfahrungen von Exil und Fremdheit und das Ringen um und mit Identität bestimmend seien, hieß es damals in der Begründung. Geboren am 9. März 1928 in Wien, konnte sie als Zehnjährige mit einem der ersten Kindertransporte den Nazis nach Großbritannien entkommen. „In England waren die Cohens in Liverpool meine erste Pflegefamilie“, erzählte sie 2018 in einem APA-Interview. „Natürlich haben sie gewusst, was in Österreich vorgeht, sonst hätten sie mich ja nicht angenommen. Aber mir war es, als ob sie nicht verstünden, was eigentlich los war. Da habe ich ein kleines Notizbuch genommen und angefangen, über das letzte Jahr in Wien zu schreiben. Das war der Impetus: Bezeugen zu können, was da vor sich ging. ‚Wo andere Leute wohnen‘ (Segals erster Roman, Anm.) war dann die erwachsene Version dessen, was ich als Zehnjährige geschrieben hatte.“
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Nach ihrem Studium in Großbritannien übersiedelte sie 1948 zunächst zu ihrer Familie in die Dominikanische Republik und 1951 nach New York. Ihre wissenschaftliche Karriere führte sie an die Columbia University, nach Princeton, an die University of Illinois at Chicago und die Ohio State University.
Im Laufe ihres Lebens veröffentlichte Segal, die sich als „österreichische Jüdin, die in England ausgebildet wurde und in den USA lebt“, verstand, Romane, Kurzgeschichten und Kinderbücher ebenso wie Übersetzungen. Zu ihren bekanntesten Werken im deutschen Sprachraum zählen die Romane „Ihr erster Amerikaner“ (1996) und „Die dünne Schicht Geborgenheit“ (2004).
„Wir sind sehr dankbar, dass wir sie kennenlernen und mit ihr arbeiten durften“, hieß es heute auf dem Instagram-Account des Österreichischen Kulturforums New York. „Zuletzt haben wir Lore und ihr Buch ‚Ladies Lunch‘ bei der Europäischen Literaturnacht 2023 vorgestellt. Lore Segal war bekannt für ihren scharfen Humor und ihre sensiblen Geschichten, in denen sie oft Themen wie Identität, Familie und Vertreibung behandelte.“ Auch Wiens Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) würdigte Segal am Dienstag in einer Aussendung: „Durch ihren Mut, persönliche Traumata kreativ zu verarbeiten und sie so der Öffentlichkeit zugänglich zu machen hat Lore Segal uns nicht nur Kunst – in Form von Romanen, Erzählungen und Kurzgeschichten – geschenkt, sondern auch so wichtige Achsen des Erinnerns hinterlassen.“
An der Eröffnung der Wiener Ausstellung nahm Segal Ende Februar per Liveschaltung aus New York teil und richtete ihre Grußbotschaft an die Besucher. Die Ausstellung ist noch bis 26. Jänner 2025 (So 10-12 Uhr, Mi 18-20 Uhr) geöffnet. In der aktuellen Ausgabe des „New Yorker“ ist ein Text von ihr erschienen, den sie bereits diktieren musste. Ende Oktober soll Ihr Buch „The Journal I Did Not Keep“ erscheinen.