Bereits für die Uraufführung von Daniel Kehlmanns „Heilig Abend“ standen Maria Köstlinger und Bernhard Schir 2017 gemeinsam auf der Bühne. Am Samstag (19.30 Uhr) geben sie das nervenaufreibende Stück bei den Salzkammergut Festwochen Gmunden.
Vor die Kamera geht es für die Schauspieler wieder im Herbst zum Dreh der sechsten Staffel der „Vorstadtweiber“.
VOLKSBLATT: Ihr Auftritt bei den Festwochen in Gmunden ist Teil des Daniel-Kehlmann-Schwerpunkts: Was verbindet Sie mit dem Autor?
MARIA KÖSTLINGER: Tatsächlich haben Bernhard Schir und ich an der Josefstadt schon „Heilig Abend“ in einer Inszenierung von Herbert Föttinger gespielt. Das war unglaublich spannend, schon als wir das Buch zu lesen bekommen und gemerkt haben, was das für eine wilde, arge Geschichte ist. Und es ist immer besonders aufregend, wenn du dich mit einem lebenden Autor beschäftigst, wo du weißt, dass der bei den Proben vorbeischauen wird und dann bei der Aufführung. Daniel Kehlmann lese ich sowieso wahnsinnig gern. Ich bin jetzt auch gerade dabei, seinen „F“-Roman zu lesen.
BERNHARD SCHIR: Daniel Kehlmann ist einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Autoren der Gegenwart. Auch international gilt er als literarische Größe. Da war es natürlich ein Privileg, die Uraufführung von „Heilig Abend“ zu spielen. Außerdem ist er ein wunderbar uneitler Zeitgenosse, klug, belesen, neugierig auf das Leben. Ich freue mich immer, ihm zu begegnen.
Ist es aufregend, die Ersten zu sein, die ein Stück zur Aufführung bringen?
SCHIR: Absolut. Man hinterlässt die ersten Spuren — wie Fußabdrücke in einem Schneefeld. Es gibt noch keinen Vergleich, auch kein Vorbild, daraus ergibt sich eine wunderbare Freiheit.
Was ist das Spannende an diesem so auf nur zwei Personen zugespitzten Stück?
SCHIR: Die Grundsituation ist ein 90-minütiges Verhör. Zwei politische Ideologien werden gegenübergestellt, sie prallen aufeinander, beide Figuren argumentieren überzeugend, so wird der Zuschauer herausgefordert, im Laufe des Abends die eigene Position zu finden. Der Ausgang des Stückes bleibt offen und gibt dem Zuschauer Raum zur Interpretation. Außerdem reflektiert das Stück die Terroranschläge in Europa der letzten Jahre.
KÖSTLINGER: An der Josefstadt war da auch ein sehr spezieller Bühnenraum. Wir waren tatsächlich eingeschlossen, auf sehr wenigen Quadratmetern mit relativ wenig Luft. Es gab dann irgendwann nach einer Probe mit völligem Schweißausbruch und einer gewissen Art von Luftnot das Bedürfnis, Luftlöcher in diesen Raum hinein zu gestalten.
Sind Sie froh, für dieses „Konzentrat“ mit einem Kollegen zu agieren, den Sie doch schon so lange kennen?
KÖSTLINGER: Auf jeden Fall. Wir spielen sehr gern miteinander und sind auch befreundet. Man kann in vielen Dingen unglaublich weit gehen und weiß, man ist trotz alledem sehr vertraut. Das ist etwas, das ich sehr genieße, wenn das mit Kollegen so funktioniert.
SCHIR: Ich schätze Maria sehr. In einem Zwei-Personen-Stück muss man sich auf die Partnerin verlassen können, und das ist mit Maria, dieser wunderbaren Schauspielerin und verlässlichen Kollegin, absolut gegeben.
Die Paarung Köstlinger-Schir kennt man ja nicht nur von der Bühne. Die zwei nächsten Staffeln der „Vorstadtweiber“ werden wohl die letzten sein.
KÖSTLINGER: Es ist tatsächlich so, dass wir nicht wissen, wann der Sendetermin der fünften Staffel, die wir schon abgedreht haben, ist. Wir wissen nur eines, dass es im Herbst, so coronabedingt hoffentlich alles gut läuft, weitergehen soll mit dem Drehen. Also wir sind jetzt schon wieder am Vorbereiten für die sechste Staffel.
Vermissen Sie nach so vielen Jahren der Zusammenarbeit das „Vorstadtweiber“-Team schon?
SCHIR: Dieses Team ist tatsächlich außergewöhnlich. Hat einen eigenen Humor, nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera.
Natürlich hat man nach so langer Zeit gemeinsamer künstlerischer Arbeit eine Art Familiengefühl. Der Abschied wird sicher schmerzhaft.
Wie haben Sie die vergangenen Monate mit der Corona-Pandemie erlebt?
SCHIR: Bei Beginn des Lockdowns war die Unsicherheit natürlich groß. Die Theater waren zu, die Filmprojekte gecancelt. Runtergebremst von 100 auf null hat man erst mal gemerkt, dass einem nichts anderes übrig bleibt, als die Kunst des Müßigganges neu zu erlernen. Nun wirkt die Pandemie wie ein Katalysator, sie wird Entwicklungen radikalisieren und Veränderungen beschleunigen. Es ist die Zeit, die Chance zu nutzen, Dinge neu zu denken und zu erfinden. Auf allen Ebenen. Deutlich geworden ist übrigens, dass die Populisten im Schutz der Bevölkerung allesamt versagt haben: Trump, Bolsonaro, Johnson …
Haben Sie seit Corona wieder gedreht?
SCHIR: Ja, „Nachtschicht“ in der Regie des großartigen Lars Becker, im Juli in Hamburg. Es gab eine eigene Corona-Beauftragte am Set, Proben mit Mundschutz und wöchentliche Tests für das gesamte Team. Der Aufwand war schon enorm.
Sind Sie glücklich, nun wieder auf der Bühne zu stehen?
KÖSTLINGER: In dieser Coronazeit, die uns Kulturschaffende schon besonders getroffen hat, war große Pause. Mein Partner und Freund, Jürgen Maurer, und ich haben nach vier Monaten zum ersten Mal bei Florian Krumböck am Semmering wieder eine Kulturveranstaltung gehabt und das war ein wirklicher Genuss. Für uns und hoffentlich auch für die Leute — sie haben auf jeden Fall so getan, als wäre es ein Genuss. (lacht) Da merkt man, warum man diesen Beruf so gerne macht. Da gab es schon einen Entzug.
Welche Auswirkungen wird diese Krise noch für das Kulturleben in Österreich haben?
SCHIR: Das bleibt mit Spannung und Sorge abzuwarten. Kultur ist kein Luxus, sondern das Herzstück einer aufgeklärten Gesellschaft. Österreich war immer eine Kulturnation, Kunst und Kultur definieren zum großen Teil die österreichische Identität. Ich hoffe, dass die Regierung diesem Umstand Rechnung trägt — im wahrsten Sinne des Wortes! Sonst kann Österreich — wie Daniel Kehlmann schreibt — im Ausland nur noch mit Bergen und Baumärkten renommieren.
KÖSTLINGER: Da wird eine Zeit lang, bis man hoffentlich einen Impfstoff findet, keine Normalität stattfinden können. Es werden Kompromisse in allen möglichen Bereichen gemacht werden müssen. Wie sich das dann anfühlen wird, wenn man in einem Haus, wie dem Theater in der Josefstadt, das sehr oft bummvoll und ausverkauft ist, plötzlich sehr viel weniger Zuschauer hat, wie es den Zuschauern gehen wird mit einer eventuellen Maskenpflicht — das wird sich alles erst im Laufe des Herbstes zeigen. Wir Künstler sind allerdings so ausgehungert, dass wir einfach hoffen, dass alles, was wir und die Theater jetzt an Maßnahmen umsetzen können, gemacht wird, damit die Leute so sicher wie möglich sind und damit wir wieder spielen können. Denn das ist unser Brot. Ich habe gelesen, dass etwa in New York Museen und Theater geschlossen bleiben. Die haben ein komplett anderes Finanzierungssystem, das ist eine Katastrophe! Da sind wir, Gott sei Dank, noch in einem Bereich, wo wir die Aussicht haben, im Herbst wieder spielen zu können. Mit aller Vorsicht werde ich jetzt positiv sein und sagen: Das wird auch gelingen!
Mit MARIA KÖSTLINGER und BERNHARD SCHIR sprach Mariella Moshammer