Bei den Bregenzer Festspielen ist heuer die weitgehend unbekannte Verdi-Oper „Ernani“ zu sehen. Das Interesse war entsprechend groß, leider hinterließ die Premiere auch manche Enttäuschung. Teils zu verstehen bei dem jeglicher Logik entbehrenden Inhalt des Librettos von Francesco Maria Piave nach Victor Hugos „Hernani“ (1830). Die widersprüchlichen Inhalte reizten jedoch Verdi zu einer dramaturgisch ausgefeilten, formal nach bestimmten Regeln (Sextenthema) geordneten Vertonung mit einer genialen Musik, die diesmal für die unzutreffende szenische Darstellung unter der Regie von Lotte de Beer entschädigte Das Resultat ergab eine von Komödie bis Tragödie pendelnde Szenenfolge, weniger auf den Ernst des Stoffes abzielend als Gefühle aufzeigend.
Man schreibt das Jahr 1519 in Aragonien und wechselt zum Aachener Dom in der Kaisergruft. Bildlich hier schwer nachzuvollziehen. Denn die Bühne von Christof Hetzer (auch Kostüme) begnügt sich mit einem Papierhäuschen, stößt des Königs Entourage in der ziemlich zerrissenen Inszenierung einfach durch die Papierwände, verbunden mit naturalistischer Tragik aus Kampfszenen.
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Gekämpft wird hart, blutrünstig mit Blutspritzern an der Wand, die Bühne wird gestürmt, tolle Akrobaten der Stunt-Factory wirbeln durch die Luft. Was muss alles herhalten, um Ehrenhaftigkeit und Rachegelüste, um die es geht, plausibel zu machen. Es geht ja schließlich um die Ehre der von drei spanischen Granden zu erobernden Edeldame Elvira. Lotte de Beer wollte offensichtlich durch die Verquickung einer Botschaft mit Musik ihr Publikum unterhalten. Zum besseren Verständnis hat ihre Auslegung kaum beigetragen.
Unglaubliche Hingabe an das Werk
Ihre getreuen tollkühnen Mitstreiter folgen de Beer mit staunenswertem Enthusiasmus und einer für das Werk unglaublichen Hingabe: Saimir Pirgu in der geforderten Titelrolle, höhensicher mit geschmeidiger Stimme, Guanqun Yu als eine klanglich leuchtende Elvira, Aytaj Shikhalizada als Giovanna, Omer Kobiljak als Riccardo, Stanislav Vorobyov als Jago, Franco Vassallo als König Carlo mit größerer Goldkrone als Kaiser und mit profundem Bass Goran Juric.
Ein Segen für Bregenz die jährliche Festspieltreue der Wiener Symphoniker, die Perfektion des Prager Philharmonischen Chors und das kostbare Pultgeschenk Enrique Mazzola, einer derzeit besten Verdi-Dirigenten.
Wiederaufnahme mit Wetterglück
In die vertraute Welt einer japanischen Geisha, die für ihre bedingungslose Liebe zu dem amerikanischen Marineoffizier Heimat, Glaube und Familie aufgibt und schließlich von ihm verlassen wird, entführten die Bregenzer Festspiele am zweiten Premierenabend. Mehr Wetterglück als 2022 war der Wiederaufnahme von Puccinis „Madame Butterfly“gegönnt, die auf der Seebühne gezeigt wurde. Es strahlten die Leistungen der Besetzung und bestätigten die gewohnt höchste Qualität der Opernaufführungen des Festivals.
Es verstärkte sich gegenüber dem Vorjahr auch der Eindruck einer expressiveren Verwirklichung des Dramas, vermutlich auch durch technische Verbesserungen der Übertragung. Bewährte und erneut „einzige“Kulisse, das Ambiente beherrschende Papiermassiv (Michael Levine), das mit seiner Höhe drohende Blicke auf die Tragik des berührenden Werkes warf. Die Regie von Andreas Homoki fand wieder ihre Bewunderer, ebenso das Aufgebot glanzvoller Stimmen wie Barno Ismatullaeva als Cio-Cio-San, deren dynamische Phrasierungskunst und atemberaubende Höhe unter die Haut gingen, Otar Jorjikia, Brett Polegato und Stanislav Vorobyov.