Eine Künstlerin, die sich den Samen einer Begonie ins Auge eingepflanzt hat, ein Künstler, der aus Kämmen Filmrollen erzeugt und damit einem vergessenen Teil der Filmgeschichte nachgeht oder Kreaturen aus Müll, die paarweise auf eine imaginäre Arche wandern. Das sind nur drei der spannenden Arbeiten, die das Lentos — heuer zum zweiten Mal — von zeitgenössischen lateinamerikanischen Künstlern im Zuge der Ars Electronica präsentiert. Dabei handelt es sich u.a. um die Preisträger eines von der Ars mit CIFO, der Cisneros Fontanals Kunststiftung, die lateinamerikanische Künstler unterstützt, ausgelobten Wettbewerbs. Die von Martin Honzik und Christl Bauer von der Ars kuratierte Schau „Dualities in Equalities“ , in der es, so Lentos-Chefin Hemma Schmutz, um „aktuelle Technologien, gesellschaftspolitische Themen und kulturelle Wurzeln“ geht, ist bis 27. September zu sehen.
„Damit werfen wir Europäer einen wertvollen Blick über unseren Tellerrand“, so die Linzer Kulturstadträtin Doris Lang-Mayerhofer bei der Presseführung am Montag. Im ersten Raum im Untergeschoß des Lentos sind die drei preisgekrönten Auftragsarbeiten des „CIFO x Ars Electronica Awards“ (dotiert mit je 30.000 Euro) zu sehen. Der argentinische Filmpionier Frederico Valle hat einst den ersten Zeichentrickfilm produziert und Argentiniens erstes Nachrichtenprogramm gestaltet. Ein Brand hat 1926 einen Großteil seiner Filme zerstört, Valle und sein Wirken gerieten in Vergessenheit. „Nicht untypisch für Argentien, wo vieles für die Nachwelt nicht festgehalten worden ist“, sagt der von ebendort stammende Künstler Joaquin Aras. Valle verkaufte die Reste seiner Filme, aus dem Zelluloid wurden Kämme hergestellt. Aras geht den Weg zurück und hat aus den Frisiergeräten mit chemischer Hilfe wieder Filmrollen gemacht und einen experimentellen Film gedreht, der im Lentos mit einem 16-mm-Projektor vorgeführt wird. Unter dem Titel „Longings“ reflektiert er den Umgang mit Kulturschätzen und propagiert deren Erhalt.
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Die Kolumbianerin Anna Maria Gómez lotet Grenzen und Symbiosen aus. Die Anleitung für ihre Arbeit „Inoculate“, für die sie sich den Samen einer Pflanze in den Tränenkanal eingesetzt hat, wurde in viele Sprachen, darunter auch eine der ersten künstlichen, nämlich Esperanto, übersetzt. Im Lentos zeigt sie diese und auch die Werkzeuge, die sie für ihre kollaborativ entstandene Arbeit verwendet.
Der dritte Preisträger, Jonathan Torres Rodriguez (Costa Rica), stellt sich vor, wie Maschinen der Zukunft durch Biomaterialien zu organischen, kompostierbaren Objekten werden. Seine käferartigen Maschinen, „Wild Machines“, setzt er in Wäldern Costa Ricas aus, wo sie nach und nach verrotten. Videos zeigen den Prozess, eine der Kreaturen soll ihre Vergänglichkeit auch im Lentos unter Einfluss etwa von Luftfeuchtigkeit zeigen.
Es gehe auch um die Zusammenarbeit und gegenseitige Befruchtung von Kunst und moderner Technik, deren Trennung längst überholt sei, so Ars-Leiter Gerfried Stocker. Das belegen auch die weiteren insgesamt sechs Arbeiten der Schau.
Sprechblasen, Gitterkästen und eine Arche der Zukunft
Wie wabernde, Fragen implizierende Sprechblasen muten etwa die leuchtend grünen Projektionen („Vibrant Self“) von Alba Triana an, die sich aus den Reaktionen der Zuhörer auf eine Komposition ergeben, die sich via Brain-Computer Interface über Schallwellen an der Wand zeigen. Von seiner Familie und deren Überleben, aber auch zur Geschichte seiner Heimat Kolumbien, einem der gefährlichsten Länder Südamerikas, hat Rosemberg Sandoval in Gitterkästen verpackt. An den Wänden die Installation „The artist´s room in Bahareque“ mit eingesperrten Kleidungsstücken oder Werkzeugen aus dem Schlafzimmer des Künstlers, die so zum politischen Statement werden.
Natalia Espinosa (Ecuador) hat in der Corona-Zeit abendlich Spaziergänge unternommen und dabei keine Menschen, dafür aber wachsende Müllberge gesehen. Aus Teilen daraus wie etwa Eierbehältern hat sie ihre Kreaturen für „The Ark. Let´s go back…“ gestaltet. Espinosa: „Wir Menschen sind so dumm: Wir schaffen Behälter, mit denen wir Dinge unbeschadet transportieren können, zerstören aber gleichzeitig unsere Umwelt.“
Von Melanie Wagenhofer