Darf eine geistig behinderte junge Frau frei entscheiden, wen sie liebt? Darf eine Mutter es riskieren, ihr Kind nicht mehr zu beschützen? Das sind die großen bewegenden Fragen im Broadway-Musical „Das Licht auf der Piazza“.
Keine klassischen Musicalthemen also, die das Linzer Musiktheater bei der Österreichischen Erstaufführung des Stücks von Craig Lucas und Adam Guettel auf die Bühne der BlackBox stellt. Der Enkel der Musical-Legende Richard Rodgers hat eine der bewegendsten Broadway-Partituren der letzten drei Jahrzehnte geschaffen, die in Linz nun in einer großartigen Produktion zu erleben ist. Eine von gesellschaftlichen Tabus und Klischees gezeichnete Story, hart, deprimierend, aber schwungvoll erzählt, mit viel Sinn für Komik und Absurdität und natürlich einem Happy End.
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So viel ambitionierter Stoff braucht exzellente Darsteller, nicht nur stimmlich, sondern auch schauspielerisch, um dem schmalen Grad zwischen Unterhaltung und Anspruch gerecht zu werden.
Die deutsche Schauspielerin und Musicaldarstellerin Sarah Schütz ist als genervte, von Zweifeln geplagte amerikanische Helikoptermutter Margaret Johnson zweifellos die grandiose Leitfigur, die gleichzeitig in der Rolle der Erzählerin charmant und bissig durch das Stück führt und niemals die Hoffnung aufgibt.
Sarah Schütz überzeugt gleichermaßen als Schauspielerin und Sängerin, als verzweifelte Kämpferin für das Glück ihrer Tochter Clara und als frustrierte Ehefrau, etwa in dem an Brecht’sche Opernarien angelehnten Song „Wann war die Liebe tot?“, der zu Herzen geht.
Als Dreamteam der Produktion erweisen sich Valerie Luksch und Lukas Sandmann, die als die beiden jungen Liebenden Clara Johnson und Fabrizio Naccarelli vom ersten Augenblick an das Publikum im Sturm erobern. Luksch gibt mit ihrem starken, glockenhellen Timbre durchgehend eine sensible, von Emotionen gebeutelte, leicht autistische Clara überzeugend zum Besten und erntet nach jedem Song wie etwa bei „Das Schöne ist“ oder „Das Licht auf der Piazza“ tosenden Applaus von den vollen Sitzreihen.
Sandmann gibt gekonnt den über beide Ohren verliebten, schmachtenden italienischen Jüngling, dass die amourösen Funken nur so sprühen vor lauter Leidenschaft, etwa im Song „Aiutami“. Auch er beeindruckt als stimmgewaltiger Musicaldarsteller der jungen Garde, den beiden steht garantiert eine große berufliche Zukunft bevor.
Herzstück dieser ungewöhnlichen Verschmelzung von Opernmelodram und dem Realismus des zeitgenössischen Musiktheaters ist das fünfköpfige, mit Streichern und Harfe klassisch besetzte Musikensemble „Il mondo era vuoto“ unter der Leitung von Juheon Han am Klavier. Die Musiker geben dem Stück den perfekten, leidenschaftlichen italienischen Anklang, umgesetzt in der minimalistisch präzisen Inszenierung und Choreografie von Melissa King.
Ein Musical mit Tiefgang also, langanhaltender und tosender Beifall des Premierenpublikums bestätigt: Das Linzer Musiktheater hat eine sehenswerte Inszenierung mehr auf seinem Spielplan.
Von Barbara Duftschmid