Wenn man die Räume im Hochparterre des Naturhistorischen Museums betritt, dominieren Regenwaldgeräusche. Die neue Ausstellung beginnt mit einem Zitat von Stefan Zweig: „Wer Brasilien wirklich zu erleben weiß, der hat Schönheit genug für ein halbes Leben gesehen.“
Der österreichische Schriftsteller schrieb das aus Begeisterung über ein Land, in dem von Rassenkonflikten nichts zu spüren war, und aus Dankbarkeit, als Jude vor den Nationalsozialisten Schutz gefunden zu haben, auch wenn er später den freiwilligen Tod dort fand.
Aber die neue Ausstellung „BRASILIEN — 200 Jahre Beziehungsgeschichten“ dreht sich nicht um die Migrantenerfahrungen. Es ist vielmehr eine brasilianisch-österreichische Wissenschaftsgeschichte, in der es um österreichische Kolonialpolitik und Naturkunde geht.
„Es ist keine historische Ausstellung“, sagt Martin Krenn, der Leiter des Archivs für Wissenschaftsgeschichte im NHM, „aber es wird im Laufe der Zeit Begleitblöcke geben, die sich mit den hier angedeuteten Themen tiefer auseinandersetzen werden.“
1817, die österreichische Brasilien-Expedition
Die Geschichte Brasiliens beginnt lange vor dem Jahr 1500, als der portugiesische Seefahrer Pedro Álvares Cabra im Nordosten Brasiliens landete und der europäische Kolonialismus begann. 1817, das Jahr der großen österreichischen Brasilien-Expedition, markierte den Beginn der österreichisch-brasilianischen Beziehungsgeschichte. Die Forschungsreise gilt als eine der bedeutendsten wissenschaftlichen Expeditionen des frühen 19. Jahrhunderts. Initiiert wurde sie anlässlich der Vermählung der Habsburgerin Leopoldine mit dem Thronfolger Brasiliens, Dom Pedro I.
Ein Stab von Wissenschaftern sammelte und dokumentierte vier Jahre lang die exotische Fauna und Flora, aber auch Mineralien und ethnologische Kostbarkeiten.
Der Präparator Johann Natterer, der „Prinz der Sammler“, blieb sogar 18 Jahre in den Regenwäldern Südamerikas und sandte zigtausende Objekte nach Wien, die man nun im NHM bewundern kann, ebenso wie einige der unzähligen Herbarbögen (auf Papier befestigte Pflanzen), die dem Botaniker Johann Pohl zu verdanken sind. Ein Riesenantennenwels aus dem Amazonas schwebt über den Köpfen der Besucher, und auch ein von Johann Natterer erbrochener Spulwurm ist ausgestellt.
Der größte Teil der Schau ist der Natur Brasiliens gewidmet, den sieben „Biomen“ und ihrer Artenvielfalt. Hier begegnet man vielen ausgestopften, exotischen Tieren, einem Jaguar, einem Dottertukan, einer Wieselkatze, giftigen Fröschen, Schmetterlingen und einem in der Natur ausgestorbenen Papagei, dem blauen Spix-Ara (aus dem Kinofilm „Rio“ bekannt). Von dieser Art wurden heuer in Brasilien einige Exemplare wieder ausgewildert.
Vieles ist im Herkunftsland ausgestorben
Die Provenienzforschung, also „die Aufklärung der genauen Herkunfts- und Erwerbsumstände, stellt eine große Herausforderung für das NHM Wien dar“, steht auf einer Wand neben einem ausgestopften Samtkotinga-Vogel geschrieben. War es Plünderei? „Ja“, sagt Gerd Koch von den österreichischen Bundesgärten, „aber heute ist es ein Segen, weil vieles ausgestorben ist im Herkunftsland.“
Von 25. Juni bis 11. September wird es eine Begleitausstellung im Großen Palmenhaus im Schlosspark Schönbrunn geben unter dem Titel „Naturwunder einer Neuen Welt“. Und auch im Porzellanmuseum im Augarten wird eine Schau mit dem Titel „Leopoldina — Furchtlos nach Rio“ eröffnen. Im Augarten hat die spätere Kaiserin Brasiliens ihren Abschied gefeiert. Vor allem der Habsburgerin verdankt Brasilien, dass sich das Land aus dem Kolonialzustand befreien und ein unabhängiger Nationalstaat werden konnte.
Ausbeutung ohne Rücksicht auf Mensch & Natur
Aber „die Beziehungsgeschichten waren nicht nur Blümchen auf Porzellan“, so Vohland. Es werden auch kritische Punkte in dieser sehr kompakten Schau thematisiert: Sklavenhandel und Kolonialismus. Nach der Eroberung Brasiliens durch die Portugiesen führte der Reichtum an Naturschätzen mehrere Jahrhunderte lang zu extremer Ausbeutung — ohne Rücksicht auf die Natur und die indigene Bevölkerung des Landes. Die Gewinnung des begehrten Brasilholzes hatte bereits im 16. Jahrhundert die Vernichtung großer Waldgebiete zur Folge.
Der Anbau von Zuckerrohr, Baumwolle, Tabak und Kaffee, aber auch die Gewinnung von Gold, basierten bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf Sklaverei. Ein riesiges Foto, das erst viel später, im Jahr 1927, entstand, zeigt einen europäischen Landgutbesitzer mit seinen beiden Töchtern auf einem Zuckerrohrfeld. Im Hintergrund steht ein versklavter afrikanischer Arbeiter — auch wenn die Sklaverei bereits abgeschafft worden war. Auch das ist ein Teil dieser imposanten, fruchtbaren wie schwierigen Beziehungsgeschichte.
Die neue Sonderausstellung „BRASILIEN — 200 Jahre Beziehungsgeschichten“ ist bis 23. April 2023 in den vier Kabinetten und zwei Sonderausstellungssälen im Naturhistorischen Museum Wien zu sehen.