Samstagabend im Linzer Musiktheater: Festliche Premierenstimmung, volles Haus, Corona ein Nebenthema auf Grund penibler Einlasskontrollen — beinahe optimale Voraussetzungen für einen glänzenden Saisonstart im Opernfach, der dann mit einer spannenden Premiere von Puccinis „La Bohème“ fast alle Erwartungen erfüllt.
So arm diese Oper an „Action“ ist, so reich ist sie an kostbarer Musik und Atmosphäre: Der Dichter Rodolfo und die Seidenstickerin Mimi verlieben sich, kämpfen um ihre Liebe und scheitern an Krankheit und Tod.
Gegenwartsbezüge und Raum für Interpretation
Die Inszenierung von Georg Schmiedleitner ist mit einigem Erfolg bemüht, für alle vier Bilder des Geschehens Gegenwartsbezüge herzustellen, auch wenn das Libretto da und dort andere, zeitgebundene Aussagen trifft. Das karge, aber umso treffendere Bühnenbild (Sabine Mäder) und fantasievolle Kostüme (Martina Lebert) schaffen im Verein mit Schmiedleitners Ideen in jedem Bild für das Publikum einen großen Interpretations- und Assoziations-Raum. So wird das halblustige Leben der verarmten Bohèmiens im ersten Akt von einem laienhaften „Reporter“ der Öffentlichkeit per Video kundgetan: Eine Anspielung auf die Flut des Alltäglichen bei Instagram und Youtube.
Das weihnachtliche Treiben im zweiten Teil ist beherrscht von einer Art Zombie-Party (grelle Schminke, helle Kostüme des Chors), an der auch der bunte Kinderchor teilhat: Die zur Maske erstarrte, inhaltsleere Seitenblicke-Gesellschaft feiert. Das dritte Bild dient optisch dem Thema „Ausgrenzung“, zu dem das wieder vereinte Paar Mimi-Rodolfo vor strahlendem Hintergrund einen optimistischen Kontrast darstellt. Im tragischen Finale schließlich sind die Bohèmiens auf die Straße gesetzt: Dennoch geben sie das Letzte, um der leidenden Mimi den Abschied vom Leben zu erleichtern.
Spitzenleistungen in vielerlei Hinsicht
Das Wichtigste bleibt trotzdem die Musik: Rodrigo Porras Garulo (Rodolfo) und Erica Eloff als Mimi nähern sich in Stimme und Spiel einer Idealbesetzung; Gleiches gilt für die quirlige, aber nuancenreiche Musetta von Ilona Revolskaja. Die Herren Adam Kim (Marcello), Martin Achrainer (Schaunard) und Dominik Nekel (Colline) agieren überzeugend als Bohèmien-Freunde des Dichters Rodolfo; Reinhard Mayr glänzt als aus der Commedia dell´Arte entlehnter Vermieter und Staatsrat. Der großartigen Leistung der Protagonisten ebenbürtig zeigt sich das Bruckner Orchester, das unter der akkuraten wie feinfühligen Leitung Markus Poschners innerhalb eines sehr weit gesteckten dynamischen Spektrums die optimale Stimmung nicht nur unterstützt, sondern schafft. Chor (Elena Pierini) und Kinderchor (Olga Bolgari) sind gewohnt gut disponiert und folgen trotz vordergründigen Tumults einer ausgeklügelten Choreografie.
Das tragische Ende der Oper hinderte das Premierenpublikum nicht daran, vorzeitig in jubelnden Beifall auszubrechen, Standing Ovations inklusive. — Empfehlung: Die Spitzenleistungen der Sängerinnen und Sänger, die sensible musikalische Gestaltung und die ungewöhnliche Inszenierung sollte man keinesfalls versäumen!