Physik-Nobelpreis an Pioniere der Künstlichen Intelligenz

Der Physik-Nobelpreis 2024 geht an zwei Pioniere der Künstlichen Intelligenz (KI). Wie die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm bekannt gab, erhalten der US-Forscher John J. Hopfield (91) von der Princeton University (USA) und der gebürtige Brite Geoffrey E. Hinton (76) von der University of Toronto (Kanada) die Auszeichnung „für bahnbrechende Entdeckungen und Erfindungen, die maschinelles Lernen mit künstlichen neuronalen Netzen ermöglichen“.

Die beiden diesjährigen Preisträger für Physik haben dem Nobelpreis-Komitee zufolge mithilfe physikalischer Methoden die Grundlage für leistungsfähiges maschinelles Lernen entwickelt. „Das maschinelle Lernen auf der Grundlage künstlicher neuronaler Netze revolutioniert derzeit die Wissenschaft, die Technik und das tägliche Leben.“

KI wird nach Meinung Hintons riesigen Einfluss auf die Menschheit haben. „Sie wird mit der Industriellen Revolution vergleichbar sein“, sagte er am Telefon bei der Preisbekanntgabe. „Aber anstatt die Menschen an körperlicher Stärke zu übertreffen, wird es die Menschen an intellektuellen Fähigkeiten übertreffen.“

Hinton sind aber auch die Gefahren der Technologie bewusst: „Wir haben keine Erfahrung damit, wie es ist, wenn Dinge intelligenter sind als wir.“ In vielerlei Hinsicht werde das wundervoll sein, etwa im Fall eines besseren und effizienteren Gesundheitswesens und großen Verbesserungen der Produktivität. „Wir müssen uns aber auch über eine Reihe möglicher negativer Folgen Sorgen machen, besonders über die Gefahr, dass diese Dinge außer Kontrolle geraten.“ Diese Gefahr war auch ein Grund, dass Hinton im Vorjahr als einer der führenden Entwickler von KI bei Google kündigte.

Auch das Nobelpreis-Komitee mahnte eine umsichtige Regulierung der Technologie ein. „KI oder künstliche neuronale Netzwerke sind eine sehr kraftvolle Technologie, die für viele gute Dinge genutzt werden kann“, sagte das langjährige Komiteemitglied David Haviland nach der Bekanntgabe. Würden mithilfe der KI Maschinen den Menschen sehr dreckige, sehr stumpfe, sich wiederholende oder sehr gefährliche Arbeiten abnehmen, könnten Menschen ihre Intelligenz stattdessen für andere, bessere Dinge verwenden.

Andererseits könne KI auch missbraucht werden, etwa das Imitieren einer Stimme und Vortäuschen einer anderen Person, um ein völlig falsches Bild von ihr zu erschaffen, sagte Haviland. Solchen Dingen müsse man sich auf dem Weg in die Zukunft bewusst sein. Man müsse auch lernen, wie man KI reguliere. „Es ist wichtig, dass die Gesellschaft sie versteht, darüber diskutiert und einen Rahmen findet, um zu regulieren, wie man damit umgeht“, so Haviland.

Das Nobelpreis-Komitee verwies darauf, dass maschinelles Lernen seit langem in verschiedensten wissenschaftlichen Bereichen eingesetzt werde, die auch von früheren Nobelpreisen bekannt seien. Als Beispiel nannte es den Einsatz bei der Sichtung und Verarbeitung riesiger Datenmengen, wie sie etwa zur Entdeckung des Higgs-Teilchens erforderlich waren.

Hopfields und Hintons Modelle legten aber auch die Grundlagen für mittlerweile sehr bekannte KI-Systeme: „Heutige Large Language Models wie ChatGPT verwenden sowohl Teile von Hopfield wie auch von Hinton“, sagte Günter Klambauer vom Institut für Machine Learning der Universität Linz gegenüber der APA.

Der aus Chicago stammende Hopfield stellte 1982 ein Netzwerk vor, das Bilder und andere Muster in Daten speichern und rekonstruieren kann. Dieses Hopfield-Netz arbeitet wie ein „assoziatives Gedächtnis“, kann Muster speichern und verfügt über eine Methode, sie wiederherzustellen. Wird dem Netzwerk ein unvollständiges oder leicht verzerrtes Muster gegeben, kann die Methode jenes gespeicherte Muster finden, das am ähnlichsten ist.

Der gebürtige Londoner Hinton, der in Großbritannien experimentelle Psychologie und Künstliche Intelligenz studiert hatte, nutzte ausgehend vom Hopfield-Netz für seine Methode Ideen aus der statistischen Physik. Unter Verwendung einer Gleichung des österreichischen Physikers Ludwig Boltzmann über die statistische Verteilung von Teilchen in einem Medium veröffentlichte er seine Methode 1985 unter dem Namen „Boltzmann-Maschine“. Diese kann selbstständig Eigenschaften in Daten finden und so Aufgaben wie das Identifizieren bestimmter Elemente in Bildern ausführen.

Solche „Boltzmann-Maschinen“ würden oft als Teil eines größeren Netzwerks verwendet, schreibt das Nobelpreis-Komitee, das darauf verweist, dass die heutigen künstlichen neuronalen Netze oft riesig und aus vielen Schichten aufgebaut seien. „Deep Learning“, das eine effiziente Verarbeitung von komplexen Informationen ermöglicht, basiert auf solchen tiefen neuronalen Netzen.

Dem KI-Pionier Sepp Hochreiter von der Uni Linz sind die diesjährigen Preisträger bestens vertraut, ihre Ideen und Konzepte würden in aktuellen Large Language Models (LLM) stecken – so auch in Hochreiters eigenen Systemen. Für sein Forschungsfeld sei der Preis „eine große Ehre“, sagte Hochreiter, der Hinton „schon seit immer kennt“. Auch mit Hopfield habe man in jüngerer Zeit wieder Kontakt gehabt, da man mit seinen „Hopfield-Netzen“ weitergearbeitet habe.

Sowohl Hochreiter als auch Klambauer zeigten sich überrascht, dass der Physik-Nobelpreis für Entdeckungen im Bereich des maschinellen Lernens vergeben wurde. Immerhin würden künstliche neuronale Netze heute dem Bereich Informatik zugeordnet. Hopfield könnte man noch eher mit Physik in Verbindung bringen, aber die Beiträge Hintons, der aus der „Psychologie kommt und immer ein Visionär war“, eher weniger.

Die Auszeichnung ist mit elf Millionen Schwedischen Kronen (rund 970.000 Euro) dotiert. Übergeben wird der Preis alljährlich am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel.

nobelprize.org

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