Ärmere Länder von Antibiotikaresistenzen stärker betroffen

Menschen in einkommensschwachen Ländern und Personen, die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, sind unverhältnismäßig stark von Antibiotikaresistenzen betroffen. Das hebt ein kürzlich veröffentlichter Bericht von Ärzte ohne Grenzen hervor. Die Haupttreiber der „stillen Pandemie“ der Antibiotikaresistenz in diesen Settings sind Konflikt und Vertreibung, die Folgen der Klimakrise und der Kollaps der Gesundheitssysteme, betont Marcus Bachmann von Ärzte ohne Grenzen Österreich.

Bis zum Jahr 2050 könnten weltweit mehr als 39 Millionen Menschen an Infektionen mit antimikrobiellen Resistenzen (AMR) sterben. Bei weiteren 169 Millionen Todesfällen könnten solche Erreger zumindest eine Rolle spielen, ergab außerdem zuletzt eine in der Medizinfachzeitschrift „The Lancet“ publizierte Studie. Eine entscheidende Ursache sei der übermäßige und unsachgemäße Einsatz von Antibiotika in der Human- und Veterinärmedizin.

Konflikte als Nährboden

Beim im Bericht von Ärzte ohne Grenzen (Médecins Sans Frontières/MSF) identifizierten Haupttreiber Konflikt und Vertreibung spielen laut Bachmann die heutigen Waffensysteme eine Rolle. Diese verursachen massive Weichteilverletzungen und Verbrennungen, „wenn es die Menschen überhaupt überleben“, sagte er im Gespräch mit der APA. „Schrapnelle, die in den Körper eindringen, noch dazu mit Schwermetallen, erzeugen Wundbilder, die der perfekte Nährboden sind für die Bildung von antimikrobiellen Resistenzen.“

„Konflikt sorgt auch für Vertreibung“, führte Bachmann aus. Er sei vor ein paar Wochen im Osten des Tschad gewesen, wohin Menschen aus dem Sudan geflohen sind und „wo sich Flüchtlingslager an Flüchtlingslager kettet“, berichtete der humanitäre Berater von MSF Österreich. „Wir schaffen es gerade einmal, die Menschen mit einer ausreichenden Menge Trinkwasser zu versorgen.“ Viele Menschen auf engem Raum mit schlechten Hygienebedingungen begünstigen ebenfalls Infektionen und in der Folge antimikrobielle Resistenzen.

Neue Antibiotika nötig

Hinzu kommt die Klimakrise. Das größte Lager für Binnenflüchtlinge in Bentiu im Südsudan ist durch den Klimawandel und historische Regenfälle seit längerem eine Insel in einem riesigen See, wo früher trockenes Land war, berichtete Bachmann. Es sei fast eine unmögliche Aufgabe, sauberes Trinkwasser zu produzieren, das gehe aber gerade noch. Die Frage sei: „Wie wird man das Abwasser los?“ Es komme zu vielen fäkal-oralen Infektionen. „Viele von diesen Keimen sind schon resistent, manche multiresistent.“

Dritter Haupttreiber von antimikrobiellen Resistenzen in humanitären Settings sind die Gesundheitssysteme und die erratische – also unkoordinierte, zufällige – Behandlung mit Antibiotika. „Es gehen uns auch die Antibiotika aus“, sagte Bachmann.

Besonders gefährdet von Antibiotikaresistenzen sind laut dem MSF-Report Frauen und Kinder, vor allem Neugeborene und stark unterernährte Kinder, sowie Kriegsversehrte. Für die Versorgung der betroffenen Menschen mit wirksamen Medikamenten und mit neuen Antibiotika-Klassen braucht es verstärkte Anstrengungen – auch auf regulatorischer Ebene, wird in dem MSF-Bericht gefordert. „Die ‚Lancet‘-Studie nimmt an, dass es ausreichend neue Antibiotika geben wird. Die extrem hohe angenommene Zahl der AMR-Todesfälle bis 2050 ist aus meiner Sicht eine sehr, sehr optimistische Annahme, dass es genügend Reserveantibiotika geben wird“, erläuterte Bachmann.

„Das ist eine Zeitbombe“

Die geplanten Exklusivitätsgutscheine in der EU-Pharmastrategie als Anreiz zur Entwicklung neuer Antibiotika hält Bachmann für einen „problematischen Vorschlag“. Das würde bedeuten, dass pharmazeutische Unternehmen, die in Antibiotika investieren, ein anderes Produkt exklusiv vermarkten können. Das verursache höhere Preise für Patientinnen und Patienten, weil zwei Jahre keine Generika auf den Markt kommen können, warnte der MSF-Experte mit Berufserfahrung in der pharmazeutischen Industrie.

Ärzte ohne Grenzen schlage daher vor, die Forschung zu Antibiotika direkt zu bezuschussen, mit der Verpflichtung, die benötigten Medikamente später allen Betroffenen zur Verfügung zu stellen, „oder man setzt Preislimits“, sagte Bachmann. Die Situation sei höchst dringend, betonte er. „Das ist eine Zeitbombe, auf der wir sitzen in dieser stillen Pandemie.“

Der Bericht online: msf.org

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