Experte zu Terrorplänen: Radikalisierung erfolgt über Internet

Zudem wird eine nachhaltige Strategie gefordert

Der 19-jährige Österreicher, der einen Anschlag auf die Taylor-Swift-Konzerte in Wien plante, hat nordmazedonische Wurzeln. Der Schütze des Terroranschlages vom November 2020 in Wien war österreichisch-nordmazedonischer Doppelstaatsbürger. Auch in anderen Fällen galten Männer mit nordmazedonischen Wurzeln als Terrorverdächtige. Eine auffällige Häufung von Radikalisierungsfällen in der Community sieht der Verein „Derad“ allerdings nicht, erklärte ein Sprecher im APA-Interview.

Die Familien beider IS-Anhänger sind Teil der albanischen Minderheit in Nordmazedonien, die rund ein Viertel der Bevölkerung des kleinen Balkanlandes stellt. Es gebe aber keine Anzeichen dafür, dass gerade albanisch-nordmazedonische Muslime besonders im Fokus von IS-Kampagnen stünden, betonte der „Derad“-Sprecher.

Nordmazedonien im Fokus

Die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) hatte in der Vergangenheit bereits Erfolg bei Radikalisierungskampagnen in Nordmazedonien. Nach offiziellen Angaben schlossen sich bis 2016 rund 130 Mazedonier dem IS in Syrien und dem Irak an. Für das kleine Balkanland mit weniger als zwei Millionen Einwohnern ist das ein relativ hoher Wert. Es sind hauptsächlich albanischstämmige Nordmazedonier, die dem Islam angehören.

Der Terrorverdächtige von Ternitz und der Attentäter von 2020 waren jedenfalls nicht die einzigen Fälle, die mit Nordmazedoniern in Verbindung gebracht wurden. 2015 geriet ein österreichischer Staatsbürger mit Wurzeln in Nordmazedonien in Verdacht, einer radikalislamistischen Terrorvereinigung anzugehören und Jihadisten anzuwerben. Auch im Jahr darauf wurde bei einer Anti-Terror-Razzia unter anderem ein Mazedonier festgenommen.

Ablehnung westlicher Werte

Balkan-Experte Robert Pichler meinte nach dem Anschlag in Wien im November 2020, dass die Religion in dieser Gesellschaftsgruppe eine immer wichtigere Stellung einnehme. Arabische statt albanische Grußformeln seien immer öfter zu hören; eine teils durch türkischen Einfluss ausgelöste Ablehnung westlicher Werte sei im Aufstieg, sagte er in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Entgegen oft verbreiteter Annahmen, dass es sich bei Terrorverdächtigen um Flüchtlinge oder Migranten handelt, sind diese meist im Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft. Sie radikalisieren sich in Österreich über das Internet. Ein Vielzahl von jungen Extremisten werde mit Internet-Propaganda radikalisiert, so ein Sprecher der Dokumentationsstelle Politischer Islam, die sich der Dokumentation von religiös motiviertem politischem Extremismus widmet.

„Für jeden Handybesitzer besteht die Chance einer Radikalisierung“

„Für jeden Handybesitzer besteht die Chance einer Radikalisierung“, warnte er. Der digitale Raum biete ein großes Propagandapotenzial – gerade deswegen würde die Zahl an jungen Radikalisierten im Vergleich zu einer Zeit vor der Verbreitung sozialer Medien steigen. Durch einfache, bunte und emotionale Bilder und Videos, in denen sich oftmals dieselben ideologischen Texte wiederholen, verbreite der IS seine Ideologien, so auch der Sprecher von „Derad“.

Der Jihadismusexperte Thomas Schmidinger ergänzte: Radikalisierung, die rein online stattfinde, sei nur „sehr selten, wenn nicht unmöglich“, sagte Schmidinger im APA-Gespräch. Es brauche nahezu immer Kontakt zu anderen, mit denen man sich entweder gemeinsam radikalisiere, oder die schon Teil der jihadistischen Szene seien.

In diesem Kontext ist ein 2022 veröffentlichter Bericht des Innenministeriums interessant, der herausfand, dass sich in Wien eine aus Nordmazedonien stammende Jugendbewegung etabliert hat, die möglicherweise dem Islamismus zuzuordnen ist. Ihr Anführer sei in Wien aufgewachsen, lebte nach damaligem Erkenntnisstand aber in der Schweiz. Auch der Attentäter des Anschlags im November 2020 war nach Angaben eines Komplizen Teil einer albanisch-nordmazedonischen Gruppe gewesen.

Forderung nach nachhaltiger Strategie

Nach der Aufdeckung der Terrorpläne kommt von Experten die Forderung nach einer „nachhaltigen Strategie“ bei der Extremismus-Prävention und nach mehr Geld für Prävention. Zwar gebe es einen nationalen Aktionsplan zur Extremismus-Prävention, konkrete Maßnahmen würden darin aber fehlen, kritisierte Verena Fabris, Leiterin der Beratungsstelle Extremismus, am Samstag im „Ö1“-Morgenjournal. Auch sei die Finanzierung für die Projekte nicht ausreichend gesichert.

Die Beratungsstelle Extremismus wird vom Jugendministerium gefördert, zudem gibt es Projekte mit anderen Ressorts und der Stadt Wien. Es gebe „viele kleine Projekte aber keine nachhaltige Strategie“, kritisierte Fabris. Das gelte auch für die Schulen, wo das Hauptaugenmerk auf die Lehrkräfte verlegt werden solle. Die angebotenen einzelnen Workshops seien gut, aber nicht nachhaltig. Daher bräuchte es Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer, nicht auf freiwilliger Basis, sondern integriert in die Ausbildungen an den Pädagogischen Hochschulen oder auch Universitäten, so Fabris

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