Keine Urteile in Mordversuchprozess gegen Vater und Sohn

Ohne Urteile ist in der Nacht auf Samstag ein Prozess wegen zweifachen Mordversuchs gegen einen 22-jährigen Tschetschenen und seinen mitangeklagten Vater am Wiener Landesgericht zu Ende gegangen. Die acht Geschworenen verneinten nach stundenlangen Beratungen die Anklage und befanden den Hauptangeklagten der zweifachen absichtlichen Körperverletzung für schuldig. Dem 46 Jahre alten Vater billigten sie gerechtfertigte Notwehr in einer Nötigungssituation zu.

Die drei Berufsrichter – zwei Männer und eine Frau – akzeptierten diese Entscheidung nicht. Sie setzten den Wahrspruch wegen Irrtums der Geschworenen aus. Damit muss die gesamte Verhandlung vor einem neu zusammen gesetzten Schwurgericht wiederholt werden. Der 22-Jährige bleibt in U-Haft, sein Vater wurde nach der Verhandlung mangels dringenden Tatverdachts enthaftet.

Florian Kreiner, der Verteidiger der beiden Männer, kritisierte das Vorgehen der Berufsrichter. „Das Volk durfte also entscheiden, aber nicht so, wie es den Berufsrichtern gepasst hat. Das führt die Laienbeteiligung im Strafverfahren ad absurdum. Ein schlechter Scherz für die Geschworenen, die seit 9.00 Uhr daran gearbeitet haben, ein faires und gerechtes Urteil für die beiden Angeklagten zu finden“, hielt Kreiner kurz vor 23.00 Uhr im Gespräch mit der APA fest.

Der Hauptangeklagte hatte in der Verhandlung eingeräumt, am 1. März 2024 am Reumannplatz zwei Syrern im Alter von 18 und 21 Jahren ein Klappmesser in die Brust gestochen zu haben. „Ich wollte nicht, dass wer stirbt“, bestritt er jedoch den Tötungsvorsatz. Sein als Beitragstäter mitangeklagter Vater stellte in Abrede, etwas Strafbares gemacht zu haben.

Die niedergestochenen Opfer überlebten, obwohl die Klinge dem 18-Jährigen die innere Brustkorbschlagader durchtrennt und die Lunge beschädigt hatte. Das Leben des jungen Mannes hing an einem seidenen Faden, wie Gerichtsmediziner Wolfgang Denk den Geschworenen darlegte. Der lebensgefährlich Verletzte erlitt nach seiner Überstellung in ein Spital am OP-Tisch einen Kreislaufzusammenbruch und hatte keinen Puls mehr. Er konnte reanimiert werden, indem ein Chirurg das Brustbein durchtrennte und Drainagen in der Brusthöhle anbrachte, mit denen Luft, Blut und Sekrete aus dem Brustkorb gesaugt wurden.

„Ich habe ihnen nichts getan. Ich habe sie nie zuvor in meinem Leben gesehen“, betonte der junge Syrer in seiner Zeugenaussage. Der 22-Jährige habe einfach die Waffe gezückt und ihm die Klinge in die Brust gestoßen: „Es war ein Zack und ein plötzliches Rausziehen, dann hatte er ein Messer in der Hand.“ Unvermutet lüftete der Zeuge plötzlich sein T-Shirt und präsentierte den Geschworenen seine Narben: „Er hat meine Brust komplett demoliert.“ Er machte Schmerzengeld in Höhe von 25.000 Euro geltend.

Dem zweiten Syrer hatte der Hauptangeklagte eine zehn Zentimeter tiefe Stichwunde in der rechten vorderen Brustwand zugefügt. Der Vater des jungen Tschetschenen soll mit gezücktem Messer Zeugen der Tat in Schach gehalten und davon abgehalten haben, dem ersten Niedergestochenen zu Hilfe zu kommen. Der 46-Jährige hatte bis zu seiner Festnahme bei einem bekannten Sicherheitsunternehmen als Security-Mitarbeiter gearbeitet.

Der Hauptangeklagte war zunächst am Nachmittag des 1. März am Reumannplatz von einem der beiden Syrer angeblich auf Drogen angesprochen worden. Das habe ihn provoziert und aggressiv gemacht, denn er hasse Suchtgift, behauptete er. Es kam zu Tätlichkeiten, wobei der Tschetschene den Kürzeren zog, da ihn sein Kontrahent mit Pfefferspray besprühte und ihm einen Kopfstoß versetzte. Dann lief der Syrer davon.

Der junge Tschetschene ging nach Hause, wo er sich mit seinem Vater besprach. Dem 46-Jährigen sei es aber nicht darum gegangen, Rache zu nehmen, wie der Verteidiger betonte: „Er ist ein friedlicher, absolut aggressionsfreier Mann. Er ist im Rat der Tschetschenen vertreten. Er hat in der Vergangenheit friedensstiftende Aktionen gemacht.“ Der Vater habe sich daher am Abend mit seinem Sohn zum Reumannplatz begeben, um mit den Widersachern das Gespräch zu suchen. „Man hat das Ganze aus der Welt schaffen wollen“, beteuerte Kreiner. Als der Hauptangeklagte die beiden Syrer wiedersah, sei aber sofort eine Schlägerei entstanden.

„Ich wollte den ersten verletzen, aber nicht töten“, schilderte der Hauptangeklagte den Geschworenen, um anzumerken: „Es kommt von unserer Herkunft her, dass man nicht die richtigen Sachen macht in so einer Situation.“ Als er den 21-Jährigen vor sich sah, „hab‘ ich mich nicht zurückhalten können. Ich bin ihn angegangen.“ Die Gruppe – der 21-Jährige sei von mehreren Landsleuten umgeben gewesen – hätte Flaschen in seine Richtung geworfen: „Aus Angst habe ich das Messer gezogen.“ Er habe den 21-Jährigen dann „in den Clinch genommen und angefangen zu schlagen“ und schließlich zugestochen: „Die Jungs sind dort bekannt wegen keiner guten Sachen am Reumannplatz. Da wollte ich, dass er nicht in der Lage ist, mich und meinen Vater zu verletzen.“ Er habe sich „nicht aussuchen können“, wo der Stich hingeht: „Ich hatte vor, die Rache zu nehmen, aber nicht, dass er stirbt.“

Nach dem ersten Stich entfernten sich Vater und Sohn Richtung Quellenplatz, wo sie nach Darstellung des 22-Jährigen plötzlich Dutzenden mit Flaschen, Stöcken und Messern bewaffneten Syrern gegenüberstanden. Das zweite Opfer sei ihn „angegangen“, schilderte der Hauptangeklagte: „Er hat mir Angst gemacht. Stich ich zu.“ Dass das Messer wieder in die Brust ging, „ist nicht geplant gewesen. Es war zufällig.“ Auf die Frage, weshalb der 18-Jährige ihn in Angst versetzt hätte, meinte der junge Tschetschene: „Er hat ein paar Schritte vor gemacht, schnell. Dann stich ich zu einfach.“

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