Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) hat am Dienstag den Nationalen Aktionsplan zu postakuten Infektionssyndromen vorgestellt, der sich mit Erkrankungen wie etwa Post Covid, ME/CFS, POTS, Fibromyalgie, reaktiver Arthritis oder chronischen Epstein-Barr-Virus-Infektionen beschäftigt. Empfohlen wird bessere Diagnostik, spezialisierte Anlaufstellen, verbesserte soziale Absicherung, Gutachter-Schulungen, mehr Forschung sowie bessere Bedingungen für Kinder und Jugendliche.
„Die Versorgung der Betroffenen muss deutlich verbessert werden“, betonte Rauch bei der Präsentation die Zielsetzung des Nationalen Aktionsplans (NAP). Besonders zu erwähnen sei die als schwere Verlaufsform geltende Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS), „da diese Multisystemerkrankung spezielle Anforderungen für die Versorgung Betroffener mit sich bringt“, heißt es in dem Papier.
Mangelnde Finanzierung der Diagnostik
„Essenziell“ sei eine „eingehende Beratung“ der Patientinnen und Patienten bei postakuten Infektionssyndromen (PAIS), so die Autoren. Dies bedürfe „angemessener Zeitressourcen“, was sich auch im Honorar- und Leistungskatalog entsprechend abbilden müsse. Derzeit seien die Tarife für bestimmte notwendige Tests „zu gering angesetzt“, dies erschwere Diagnostik, Beratung und Versorgung; wichtige Untersuchungen würden nicht honoriert. Auch Rauch wies darauf hin, dass die Erstellung der Diagnose ein „komplexer Vorgang“ sei. Bei der Schwere der Erkrankung bestehe eine „Riesenbandbreite“, von bettlägerigen Patienten, „die nicht mehr in der Lage sind, Dinge eigenständig zu erledigen“, bis hin zu teilweiser Arbeitsfähigkeit.
Im NAP wird betont, dass aktuell nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten kausaler Therapien bestehen. Umso wichtiger sei es daher, Betroffene multidisziplinär zu betreuen und zu begleiten. Bezüglich Prävention wird unter anderem „die Vermeidung von Infektion und Reinfektion“ genannt sowie das Angebot bzw. die Inanspruchnahme von Impfungen.
Anlaufstellen für Patientinnen und Patienten gefordert
Notwendig zur Behandlung der Betroffenen seien „kompetente Anlaufstellen“ mit Expertinnen und Experten mit spezifischem Fachwissen. Dabei müssten u.a. aufsuchende (Hausbesuche) und digitale Versorgungsangebote eine Rolle spielen (z.B. Televisiten). Rauch sagte dazu, es brauche ein entsprechendes „dezentrales Netz“ wohnortnah in jedem Bundesland. Einmal mehr verwies der Minister auf die Zuständigkeit der Länder, finanzielle Mittel dafür seien ja bereits via Finanzausgleich vorgesehen.
Gearbeitet werden soll auch am derzeit „noch nicht ausreichenden“ Informationsstand, heißt es in dem Papier. Dies betreffe nicht nur die Öffentlichkeit, „sondern auch das medizinische Fachpersonal, potenzielle Gutachter:innen, Institutionen und Behörden wie Sozialversicherungen, Arbeitgeber:innen, Schulen und Jugendämter“ sowie die Betroffenen selbst und ihre Angehörigen. Positiv hervorgehoben wird, dass die vom Obersten Sanitätsrat im November 2023 empfohlene Schaffung eines nationalen Referenzzentrums zur Wissensbündelung bereits umgesetzt wurde.
Zentrale Aufgabe dieses an der MedUni Wien angesiedelten Zentrums sei die „Aufbereitung und Weitergabe von Wissen“, betonte eine der beiden Zentrums-Leiterinnen, Eva Untersmayr-Elsenhuber. Das betreffe alle Gesundheitsberufe, nicht nur Ärztinnen und Ärzte, sagte sie. Angeboten werden u.a. zielgerichtete Fortbildungen für einzelne Berufsgruppen, aber auch wissenschaftliche Symposien. Auch für Patientinnen und Patienten soll künftig auf einer geplanten Homepage Informationsmaterial abrufbar sein.
Es gehe darum, die Aus- und Weiterbildung zu verstärken, betonte auch Rauch. Im Aktionsplan wird auch auf die die bereits bestehenden Handlungsanleitungen für Gesundheitsberufe verwiesen, u.a. die S1 Leitlinie zum Management von PAIS (abrufbar unter ➡️ Weitere Informationen), das D-A-CH-Konsensusstatement zu ME/CFS (➡️ Weitere Informationen) sowie den „Praxisleitfaden für die Versorgung von ME/CFS-Betroffenen“ (➡️ Weitere Informationen).
Soziale Absicherung und Begutachtungen
Auch auf die soziale Dimension wird im Aktionsplan eingegangen, ein Punkt, den auch Rauch besonders betonte. Postakute Infektionssyndrome gehen häufig mit (existenziellen) finanziellen Belastungen sowie Armutsbetroffenheit einher, so die Autoren. Hingewiesen wird darauf, dass für den Erhalt von Leistungen (Pflegegeld, Reha-Geld oder auch für die Zuerkennung des Grades der Behinderung) eine entsprechende Begutachtung Voraussetzung ist. Seitens Betroffenen-Organisationen wurde bei diesem Thema zuletzt wiederholt über fehlendes Wissen von Gutachtern und über abgelehnte Anträge geklagt.
„Betroffene fühlen sich nicht gehört, nicht gesehen, nicht ernstgenommen“, sagte Rauch. „Wir brauchen auch, das stelle ich auch ganz vorne hin, bei den Gutachterinnen und Gutachtern eine deutlich stärkere Ausbildung und Fortbildung bei der Begutachtung.“
Vorgeschlagen wird im NAP die Einrichtung einer Plattform für den fachlichen Dialog zwischen Gutachterinnen bzw. Gutachtern und Expertinnen bzw. -Experten für postakute Infektionssyndrome – „unter Einbeziehung von Patientenorganisationen“. Ziel sei, dass auch jene Einschränkungen der Betroffenen erfasst werden, „die sich während des kurzen Zeitraums der Begutachtung nicht zeigen“ – sondern wie bei PEM oder POTS „erst nach 24 bis 48 Stunden die Handlungskapazität im Alltag beeinträchtigen“. Hingewiesen wird im NAP darauf, dass die Begutachtungen für Betroffene „ressourcenschonend“ und „unter Wahrung der Zumutbarkeit“ vonstatten gehen sollten, auch externe Befunde sollen verstärkt in die gutachterliche Entscheidung einbezogen werden.
Kinder und Jugendliche
Besonders hervorgehoben werden auch die besonderen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen, die von derartigen Erkrankungen betroffen sind. Derzeit bestehe keine bundesweite rechtliche Lösung, wie etwa mit der Schulpflicht umgegangen werden soll, wann beispielsweise Hausunterricht gegeben werden kann. Nicht mehr schulpflichtige Jugendliche, die durch die Erkrankung nicht arbeitsfähig sind, würden keine Unterstützung erhalten, „die Familien werden in solchen Fällen alleingelassen“, heißt es in dem Bericht.
Betont wird auch die Notwendigkeit von mehr Forschungsförderung, man sei dabei, die Forschung „deutlich auszuweiten“, sagte Rauch. Untersmayr-Elsenhuber erklärte, es brauche neue Therapieansätze, das entsprechende Wissen solle auch in Österreich generiert werden. Ziel sei auch, dass jeder Medizinstudent von dem Thema zumindest gehört habe und im Rahmen des Studiums auch die Möglichkeit hat, sich vertiefend damit zu beschäftigen. Mit der Umsetzung der im NAP vorgeschlagenen Maßnahmen soll bereits im Dezember begonnen werden, dazu ist eine eigene Kick-off-Veranstaltung geplant.