Noch bis zum 1. November verhandeln rund 23.000 internationale Teilnehmer im kolumbianischen Cali auf der 16. UNO-Artenschutzkonferenz. Vom 11. bis 22. November findet in Aserbaidschans Hauptstadt Baku die UNO-Klimakonferenz COP29 statt, und von 25. November bis 1. Dezember wird im südkoreanischen Busan das UNO-Plastikabkommen verhandelt. „Es ist positiv, dass sich die multilaterale Diplomatie als Lösungsweg positioniert hat“, sagt die Politikwissenschafterin Alice Vadrot.
Vadrot, Professorin für Internationale Beziehungen und Umwelt am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien, forscht seit langem über die Wechselbeziehungen von Wissenschaft und Politik. „Mega-Konferenzen wie diese werden in der internationalen Literatur sehr kontroversiell diskutiert, und es gibt viele, die sie als reine Showpolitik abtun, als nichts anderes als eine politische Bühne, die dazu benützt wird, um den Status quo zu erhalten. Ich persönlich sehe den Willen vieler Staaten, sich an den Verhandlungen zu beteiligen, aber als positives Zeichen. Wenn sich Staaten dort positionieren, kann man sie anschließend auf nationaler Ebene auch zur Verantwortung ziehen.“
Vor allem seien solche Konferenzen „eine Möglichkeit für viele Gruppierungen, alternative Visionen auf internationaler Ebene zu promoten, um auch auf nationaler Ebene Druck aufzubauen. Dieser Effekt der Politisierung ist aus meiner Sicht wichtig. In der Literatur spricht man von ‚Politics of Scale‘ oder ‚Two-Level game‘“, erklärt Vadrot im Gespräch mit der APA. „Die Verhandlungen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert: Am Anfang waren es vor allem staatliche Akteure, die miteinander im Gespräch waren. Das hat sich dann stark um klassische NGOs erweitert. 2010 kamen verstärkt Business- und Industrieakteure hinzu. Und in den letzten zehn Jahren haben die unterschiedlichsten Jugendbewegungen diese Bühne für sich entdeckt.“
Der rund um die globalen Umwelt- und Klimaprobleme entwickelte Konferenz-Mechanismus „reicht natürlich nicht aus, um der Klima- und Biodiversitätskrise nachhaltig zu begegnen“, räumt die Politologin ein, doch man übersehe oft, dass die Institutionalisierung einer Problembehandlung auch mit Professionalisierung und Entwicklung von Expertise einhergehe: „Aus meiner Sicht ist der größte Effekt, den diese internationalen Verhandlungen in den letzten 30 Jahren hatten, der, dass auf den nationalen Ebenen Bürokratien aufgebaut wurden, die diese Themen bearbeiten. 1994 bei der COP1 des Übereinkommens über die biologische Vielfalt und 1995 bei COP1 der Klimarahmenkonvention gab es in Österreich kaum ausgewiesene Klima- oder Biodiversitätsexperten im zuständigen Ministerium. Es gibt also durchaus einen Lerneffekt.“
Die mit derartigen Konferenzen verbundenen CO2-Emissionen und Müllberge „sehe ich auch als Problem“, meint Vadrot, doch hybride oder reine Online-Formate, wie sie etwa während der Corona-Pandemie ausprobiert wurden, hätten sich als nicht sinnvoll herausgestellt. „Auch Studien, die wir gemacht haben, haben gezeigt, dass dieses Vor-Ort-Sein, die Möglichkeit, im Hinterzimmer Dinge auszuhandeln, eine Art von Diplomatie darstellt, die sehr resistent ist gegenüber einem Wandel.“
Die kommende COP29 in Baku werde wohl kein Meilenstein, ist sich Vadrot sicher. „Meine Erwartungen sind nicht hoch. Wenn überhaupt, wird man es vielleicht schaffen, sich in der Klimafinanzierungsfrage anzunähern. Vor allem die Länder des globalen Nordens wünschen sich eine Beteiligung Chinas und der Golfstaaten an der Finanzierung. Wo ich mehr Hoffnung habe, ist im Bereich ‚monitoring and review‘. Dabei geht es um die Verpflichtung der Länder, ihre Anpassungsmaßnahmen auch besser wissenschaftlich abzubilden. Nur dann lassen sich die nationalen Ziele auch evaluieren. Die Verhandlungen um den globalen Biodiversitätsrahmen waren ja deswegen so kontrovers, weil es zum ersten Mal um konkrete Ziele und Indikatoren ging. Das ist schon eine Weiterentwicklung. Ich wage zu bezweifeln, ob das schnell genug passiert – aber wenigstens befasst man sich jetzt mit messbaren Zielen und Indikatoren und nicht mehr mit großen, aber allgemein gehaltenen Absichtserklärungen.“
Alice Vadrot, die Mitglied des nationalen Biodiversitätsrats ist, hat mit einer Arbeit über die Etablierung des Weltbiodiversitätsrats promoviert. In dem Gremium werde heute durchaus Klartext geredet, versichert sie. „Wenn man sich die Berichte von Weltklimarat und Weltbiodiversitätsrat ansieht, dann erfordern alle positiven Szenarien über rein technische Maßnahmen hinaus auch einen Wertewandel, einen Paradigmenwechsel, eine Transformation der politischen und wirtschaftlichen Systeme. Das ist dort absoluter Konsens. Die Frage ist nur: Was bedeutet das konkret?“ Der Weltbiodiversitätsrat werde im Dezember seinen Bericht über transformativen Wandel verhandeln. „Dieser Bericht weist kapitalismuskritische Züge auf – weswegen es im Vorfeld auch massive Konflikte gab.“
Massive Konflikte drohen auch durch die „wahnsinnige Polarisierung der Gesellschaft“, die die Politologin registriert. Zu jenen, die den Klimawandel glatt leugnen, kämen jene, die das Thema aus Angst vor dem Verlust von Wählerstimmen möglichst klein halten wollen. „Zudem ist es schwierig für langfristige Themen wie den Klimawandel oder den Biodiversitätsverlust, diese permanent im öffentlichen Diskurs zu halten. Kurzfristige Themen wie Energiepreise, Arbeitsplätze oder Inflation erfahren immer eine Priorisierung.“ Und so entsteht das Paradoxon, dass in Zeiten, in denen die Auswirkungen der Klimakrise immer augenfälliger werden, das Thema in der politischen Agenda immer weiter nach unten wandert.
„Soziolog*innen und Philosoph*innen beschäftigen sich schon lange damit, wie eigentlich Wandel eintreten kann. Ich glaube, dass das ein Prozess ist, der von unten wie von oben passieren muss“, sagt Vadrot. „Bei den Klimaverhandlungen sieht man, dass es immer mehr Allianzen gibt von Städten, von Gemeinden, von Dörfern. Der Staat ist nicht mehr der einzige Akteur. In der Öffnung der Räume sehe ich eine gewisse Hoffnung.“ Es gebe die Etablierung von Modellregionen oder die Bildung von High Ambition Coalitions, die Mut machten. „Bei den Verhandlungen über ein globales Plastikabkommen hat sich eine Koalition der Willigen formiert, die am Anfang an die 50 Länder umfasst hat. Jetzt sind es über 100, denen drei ölproduzierende Länder, China, Saudi-Arabien und USA, sowie die petrochemische Industrie gegenüberstehen. Das ist eine sehr interessante Entwicklung, die etwas weiterbringen kann. So etwas bräuchte es auch auf nationaler und lokaler Ebene.“
Vadrot verweist etwa auf den 2021 in Österreich eingesetzten Klimarat der Bürgerinnen und Bürger. „Wenn sich Menschen aus verschiedenen Bereichen zusammentun, um etwas zu bewegen, ist es ein zentraler Motor für Wandel. Wenn man solche Instrumente mit einer gewissen Wirkungsmacht in politische Strukturen einbauen würde, könnte das wichtige Hebelfunktionen erfüllen.“ Die „Climate Anxiety“, die Klimaangst, die in vielen Jugendumfragen eine große Rolle spiele, müsse überwunden und der Glaube an die eigene Wirkungsmacht wieder bestärkt werden.
„Auf der Uni bin ich immer wieder schockiert, wie wenig politisches Engagement die Studierenden an den Tag legen und wie gering ausgeprägt bei ihnen das Gefühl ist, dass man auch etwas bewegen und verändern kann. Wir müssen darüber diskutieren, wie wir die politischen Entscheidungsstrukturen so gestalten, dass sie mehr Partizipation zulassen. Das Vertrauen in die Parteien ist stark gesunken. Es gibt einen Vertrauensverlust in die formalen Institutionen, der mich erschüttert. Es darf aber nicht erst eine autoritäre Regierung geben, damit die Menschen endlich aufwachen!“
Die Klimadebatte werde derzeit von vielen Menschen als „sehr abgehoben von ihrer Lebensrealität“ wahrgenommen, glaubt Vadrot. „Es geht aber um die Identitäten der Menschen – um ihre Art zu leben, zu konsumieren, sich zu ernähren, sich fortzubewegen. Da einzugreifen, empfinden viele als autoritär. Es ist schwierig, das aufzulösen, aber es muss bei den Lebensrealitäten der Menschen beginnen. Da sind Schulen, Gemeinden, Bezirke, Universitäten und andere Einrichtungen gefordert, in einen öffentlichen Dialog zu gehen.“
Vor allem müsse „die ideologische Aufladung“ des Themas ein Ende haben: „Begriffe wie Klimawandel oder bloß Klima sind für manche Parteien schon ein Schimpfwort oder ein Tabu geworden. Es findet kein Dialog statt auf einer Ebene, wo man über Fakten reden sollte, über Szenarien und konkrete Maßnahmen, wie man dem Problem langfristig begegnet. Dass die Polarisierung den Dialog oftmals verhindert, ist ein großes Problem, das schwer nachzuvollziehen ist angesichts der Dringlichkeit politischen Handelns.“
(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)