In mehreren Bundesländern sind in den vergangenen Jahren groß angelegte Schwindeleien bei Führerscheinprüfungen aufgeflogen. Prüflinge, die der deutschen Sprache oft eingeschränkt mächtig waren, erschienen mit in ihrer Kleidung versteckten Minikameras und In-Ear-Kopfhörern und ließen sich von außen via Handy die richtigen Antworten einsagen. Etliche Fälle wurden strafrechtlich abgeurteilt – ehe sich nun herausstellte, dass das Vorgehen strafrechtlich gar nicht zu ahnden ist.
Der Oberste Gerichtshof (OGH) hob nämlich Mitte Juli ein Urteil des Bezirksgerichts Graz-Ost auf, das drei Personen, die bei Führerscheinprüfungen getürkt hatten, wegen mittelbar unrichtiger Beurkundung im Amt (§ 228 StGB) verurteilt hatte. Die Generalprokuratur legte dagegen eine Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes ein, weil sie in den Schuldsprüchen eine Verletzung des Gesetzes erkannte. Der OGH schloss sich dieser Ansicht in der Entscheidung 13 Os 43/23g – sie liegt der APA vor – an, da der „gegenständliche Sachverhalt“ nicht unter den § 228 StGB falle. Die Beurkundung einer mit Bescheid erteilten Lenkerberechtigung, die unter vorangegangenem Einsatz unlauterer Mittel bei der Führerscheinprüfung erlangt wurde, stelle nämlich keine Beurkundung einer inhaltlich unrichtigen Lenkerberichtigung dar. Der Ergebnisausdruck des theoretischen Prüfungsteils sei ja „nur für den behördeninternen Gebrauch bestimmt“, aber „kein geeignetes Tatobjet des § 228 StGB“. Da sich „der aufgezeigte Rechtsfehler“ zum Nachteil der Verurteilten auswirke, sei das Urteil aufzuheben.
Der OGH beließ es aber nicht dabei. Er erkannte auch gleich in der Sache selbst und sprach die drei Betroffenen frei. Begründung: „Das konstatierte Verhalten kann auch keiner anderen strafbaren Handlung subsumiert werden.“ Detailliert legt das Höchstgericht dann auch noch dar, weshalb auch der Tatbestand der Fälschung eines Beweismittels (§ 293 StGB) nicht in Betracht kommt: „Falsch im Sinne dieser Norm ist ein Beweismittel, wenn es bei seinem Gebrauch geeignet ist, die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen in eine andere Richtung zu lenken, als sich sonst die Situation darstellt. Eine ‚schriftliche Lüge‘ ist aber nur dann tatbildlich, wenn ihr ein über die bloße Behauptung des Vorliegens der dem jeweiligen Verfahren zugrunde liegenden Anspruchsvoraussetzungen oder das bloße Vorbringen des eigenen Verfahrensstandpunkts hinausgehender Beweiswert zukommt.“
Die Entscheidung hat massive Folgen, wie das Höchstgericht deutlich macht: „Vom aufgehobenen Urteil rechtslogisch abhängige Entscheidungen und Verfügungen gelten gleichermaßen als beseitigt.“ Das heißt, sämtliche strafrechtlichen Verurteilungen im Zusammenhang mit Schummeleien beim theoretischen Teil von Führerscheinprüfungen sind mit Nichtigkeit behaftet und aufzuheben. Ein Sprecher des OGH bestätigte der APA einen Bericht der „Kronen Zeitung“ (Donnerstag-Ausgabe), die zuerst über die Entscheidung berichtet hatte, und erklärte, Geldstrafen seien bereits zurückgezahlt worden. Noch anhängige Verfahren bei den Staatsanwaltschaften sind einzustellen. Wie in diesem Zusammenhang am Donnerstag zu erfahren war, war etwa bei der Wiener Anklagebehörde mit Ermittlungen gegen mehrere Beschuldigte bis zum Vorliegen des OGH-Urteils zugewartet worden. Diese Ermittlungsverfahren sind nun vom Tisch.
Folgenlos bleiben die Schwindeleien bei Führerscheinprüfungen aber nicht. Sie können nach dem Verwaltungsstrafrecht geahndet werden. Im Führerscheingesetz (FSG) sind entsprechende Strafe vorgesehen, außerdem wird ein Prüfling, der beim Schummeln auffliegt, für neun Monate bis zum nächsten Antritt gesperrt.
In den vergangenen Jahren hatten vor allem in der Steiermark etliche Prüflinge umfangreiche technische Ausrüstung verwendet, um durch die theoretische Führerscheinprüfung zu kommen – einige wurden von den Prüfern erwischt. Von 50 ausgeforschten Beschuldigten war Ende 2021 die Rede. Das Equipment war teilweise mit Klebestreifen an den Körper der Prüflinge geklebt oder innen in T-Shirts verbaut worden, an den Hals geklebte Induktionskabel stellten eine Audioübertragung der passenden Antworten sicher, nachdem Prüfungsteilnehmer Fotos der Fragen aus dem Prüfungssaal verschickt hatten.
Nach polizeilichen Ermittlungen hatte es Anzeigen gesetzt und schließlich Gerichtsprozesse – einige Prüflinge kassierten Geldstrafen zwischen 800 und über 2.600 Euro. Sie hatten den „Einflüsterern“ im Schnitt 2.000 Euro bezahlt.
Gleich gelagerte Fälle gab es auch in Kärnten, wo Ende 2021 gegen mindestens 50 Verdächtige ermittelt wurde, in Niederösterreich und in Wien. Die „Anbieter“ hatten ihre verbotene Dienstleistung auf sozialen Plattformen beworben – und offenbar kann man damit nach wie vor gute Geschäfte machen. Zuletzt flog Ende März in Graz ein „verkabelter“ Führerscheinkandidat auf, der sich bei der Prüfung die korrekten Antworten per Kopfhörer einflüstern lassen wollte.