In der Hochwassersituation in Niederösterreich hat der Dienstag laut Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) „etwas Entspannung“ gebracht. Der Regen habe aufgehört, weshalb in vielen Regionen „Gott sei Dank“ die Pegel zurückgingen, sagte die ÖVP-Politikerin nach einer Lagebesprechung in Tulln. Die Dimension der Schäden sei „noch nicht abschätzbar“. 75 Millionen Euro an Soforthilfe stehen bereit. Indes ist ein fünftes Todesopfer im Bundesland zu beklagen.
In Würmla (Bezirk Tulln) starb eine 81-Jährige in ihrem gefluteten Wohnhaus. Die Leiche wurde Polizeiangaben zufolge Dienstagfrüh von Einsatzkräften entdeckt. Geklärt ist die Identität jenes Toten, der am Montagnachmittag im Strandbad Klosterneuburg (Bezirk Tulln) im Wasser treibend gefunden worden war. Es handelt sich um einen 46-jährigen Wiener, der laut Polizeisprecherin Manuela Weinkirn ertrunken war. Im Fall einer am Dienstag aus der Donau bei Marbach (Bezirk Melk) geborgenen Männerleiche liegt nach Angaben der Sprecherin Suizid vor.
„Die Schäden sind massiv und verheerend. Aber das ganze Land hilft zusammen“, hielt LH-Stellvertreter Stephan Pernkopf (ÖVP) am Dienstagabend in einem der APA übermittelten Statement fest. „Die Kameradinnen und Kameraden der Feuerwehr und alle Einsatzkräfte leisten schier Unmenschliches. Und auch die Zusammenarbeit der Menschen in den Gemeinden ist absolut beeindruckend“, konstatierte der Landesvize.
Laut Pernkopf sind bisher 33.600 Einsatzkräfte aufgeboten worden, davon 800 Mitglieder des Bundesheeres. In Summe wurden rund 2.000 Objekte evakuiert, davon betroffen waren 2.400 Personen. Samt Nachmeldungen wurden 76 Menschenrettungen mit Hubschraubern verzeichnet. 24 Ortschaften waren auch am Dienstagabend nicht erreichbar. Gefordert wurden die Helfer in den vergangenen Tagen von in Summe 21 Dammbrüchen. Die Einsatzschwerpunkte lagen in den Abendstunden nach Angaben des Landesvizes im Tullnerfeld, im Pielachtal sowie im Zentralraum.
„Heute werden Dämme gesichert, Menschen gerettet, Wasser gepumpt und dort wo möglich schon gemeinsam aufgeräumt. Ab morgen wird geholfen, der Katastrophenfonds des Landes steht bereit“, blickte Pernkopf voraus.
Apropos Katastrophenfonds: Dieser soll rasche Unterstützung für die vom Hochwasser Betroffenen bringen. Die Landesregierung beschloss am Dienstag einstimmig 75 Millionen Euro an Soforthilfe, davon kommen 45 Millionen Euro vom Bund und 30 Millionen vom Land. „Wir lassen die Menschen nicht im Stich“, betonte Landeshauptfrau Mikl-Leitner nach der Landesregierungssitzung vor Journalisten in St. Pölten. Ersetzt werden bis zu 20 Prozent der anerkannten Gesamtschadenssumme. In Härtefällen seien es bis zu 50 Prozent, sagte Pernkopf. Das Versprechen, den Fonds aufzustocken, wenn die Summe nicht ausreicht, könne – wie der Bund – auch das Land abgeben, so Mikl-Leitner. Schadenskommissionen würden zeitnah in die Gemeinden kommen.
Die Polizei gab am Dienstag bekannt, ihre Streifentätigkeit in den vom Hochwasser betroffenen Gebieten zu verstärken. Eigentumsdelikte und illegale Sperrmüllsammlung sollen hintangehalten werden, sagte Chefinspektor Johann Baumschlager zur APA. Zudem würden Schaulustige weggewiesen.
Bis zu 1.700 Polizistinnen und Polizisten sind laut einer Hochwasser-Zwischenbilanz des Innenministeriums in Niederösterreich im Einsatz. Hinzu kämen mehrere Kollegen des Canyoning Kompetenz Teams, vier Drohnenmannschaften und vier Polizeihubschrauber. Einer vorläufigen Bilanz des Bundesheeres zufolge sind bisher 300 Tonnen an Sandsäcken und „Big Bags“ durch Hubschrauber und die Transportmaschine C-130 befördert worden. Ebenfalls 30 in Not geratene Personen seien aus der Luft per Windenbergung in Sicherheit gebracht worden. „Solange es notwendig ist, wird das Bundesheer im Einsatz bleiben“, kündigte Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) an.
Landesfeuerwehrkommandant Dietmar Fahrafellner verwies vormittags auf einen Dammbruch an der Perschling in Rust im Tullnerfeld in der Gemeinde Michelhausen (Bezirk Tulln). Die Helfer wollten „versuchen, provisorisch zu flicken“. Das Bundesheer werde dabei unterstützen.
Seitens des Landesführungsstabs Niederösterreich wurde die Berufsfeuerwehr Wien Dienstagnachmittag um Unterstützung im Bezirk Bruck an der Leitha ersucht, es galt einen Dammbruch zu vermeiden. 25 Wiener Feuerwehrleute, ein Kommandofahrzeug, drei Hilfeleistungs-Löschfahrzeuge, ein Großtank-Löschfahrzeug sowie eine Sonderpumpe machten sich auf den Weg in das Krisengebiet. Der Einsatz ist vorerst für 24 Stunden angefordert, hieß es in einer Aussendung.
Am Montag bzw. in der Nacht auf Dienstag sind sieben Ortschaften im Tullnerfeld evakuiert worden. Das Rote Kreuz hat in der Messe Tulln ein Notquartier eingerichtet. Bis zu 1.000 Menschen können untergebracht werden. Feldbetten stehen ebenso wie eine Feldküche zur Verfügung. Die Einrichtung in der Bezirksstadt bleibe so lange in Betrieb, wie sie gebraucht werde, sagte Sonja Kellner vom Roten Kreuz.
„Das Schlimmste ist überstanden“, wurde am Dienstag in St. Pölten aufgeatmet. „Die Lage nach dem Hochwasser-Alarm entspannt sich allmählich. Die Pegelstände der Bäche, der Traisen und des Grundwassers gehen zurück“, teilte das Rathaus mit. Bis auf wenige Ausnahmen seien auch alle Verkehrssperren in der Landeshauptstadt aufgehoben.
In den kommenden Tagen erwarten die Hydrologen in Niederösterreich laut Pernkopf „im Wesentlichen keine relevanten flächigen Niederschläge“. Kleinräumige lokale Spitzen bis maximal 15 Millimeter könnten im südwestlichen Mostviertel auftreten.
Am Stausee Ottenstein ist der Zulauf des Kamp am Dienstagnachmittag nach Angaben von EVN-Sprecher Stefan Zach auf 170 Kubikmeter pro Sekunde zurückgegangen. Es gebe einen Ablauf in selber Größenordnung. Das freie Volumen habe „leicht zugenommen“ und betrage 3,8 Millionen Kubikmeter. Die am Sonntag geöffneten Hochwasserklappen wurden bereits etwas hinaufgefahren. Geht der Zulauf – wie erwartet – weiter zurück, können die Klappen wieder geschlossen werden.
Der Hochwasserschutz „hat geholfen, sonst hätten wir noch viel gröbere Schäden zu verzeichnen“, hielt Mikl-Leitner fest. Der Auftrag sei nun, „alle Hochwasserschutzbauten zu überprüfen, zu analysieren und weitere Schritte abzuleiten“.
Zahlreiche Straßen waren in Niederösterreich weiterhin gesperrt. Nach den heftigen Regenfällen lief der Betrieb am Flughafen Wien in Schwechat (Bezirk Bruck an der Leitha) mittlerweile wieder plangemäß, teilte ein Sprecher am Dienstag auf APA-Anfrage mit. In den vergangenen Tagen sei es zu Verzögerungen bei mehreren Abflügen und Ankünften gekommen, gröbere Einschränkungen des Flugbetriebs durch die Witterung gab es demzufolge aber nicht.
Für die zwischen St. Valentin (Bezirk Amstetten) und Wien gesperrte Weststrecke der Bahn gab es am späten Dienstagabend positive Nachrichten. „Die Anstrengungen der vergangenen Tage machen es möglich, dass morgen die ‚alte‘ Weststrecke wieder eingleisig befahrbar ist“, teilten die ÖBB in einer Aussendung mit. Zwei Fernverkehrszüge werden pro Stunde zwischen Wien und Salzburg unterwegs sein, zudem gebe es einen ausgedünnten Nahverkehr zwischen Wien-Westbahnhof und St. Pölten. Auch die Franz-Josefs-Bahn ist am Mittwoch ab Betriebsbeginn wieder vollständig befahrbar.
Die Zahl der Todesfälle in Verbindung mit dem Hochwasser stieg am Dienstag auf fünf. Bereits am Sonntag war der Tod eines Feuerwehrmannes im Einsatz in Rust im Tullnerfeld in der Gemeinde Michelhausen (Bezirk Tulln) bekannt geworden. In Untergrafendorf in der Gemeinde Böheimkirchen (Bezirk St. Pölten-Land) starben nach Polizeiangaben vom Montag ein 70- und in Höbersdorf in der Marktgemeinde Sierndorf (Bezirk Korneuburg) ein 80-Jähriger.