In Ulrich Seidls „Rimini“spielt Schauspieler Michael Thomas einen Schlagerstar, der seine besten Zeiten hinter sich hat und nun seine Fans im winterlichen Italien in vielerlei Weise beglückt. Am Mittwoch feiert der Film auf der Diagonale Premiere.
VOLKSBLATT: „Rimini“ ist nicht Ihre erste Zusammenarbeit mit Ulrich Seidl. Wie kamen sie beide zusammen?
MICHAEL THOMAS: Ich hatte schon für „Hundstage“ vorgesprochen. Ich wusste damals gar nicht, wer Ulrich Seidl war und habe da ganz Hochdeutsch gesprochen. Ulrich hat mir später erzählt, er hätte mich damals schon engagiert, wenn er gewusst hätte, dass ich Dialekt kann. Dabei bin i a Wiener. Wenn ich das gewusst hätte (lacht). Für „Import Export“ war ich beim Casting und da hob i daun natürlich Dialekt gredet. Do hot er mi daun guat gfunden. Das hat mein Leben geprägt. Ich hatte eine Theaterkarriere hinter mir, Musical, ein paar Film- und TV-Sachen gemacht. Aber mit der Cannes-Nominierung und so – da war ich dann plötzlich ein anderer. Enfant terrible war ich immer, aber damals durfte ich es nicht sein, und jetzt darf ich es sein. Ist der Ruf erst ruiniert …
Ulrich Seidl hat Ihnen die Rolle des Richie Bravo in „Rimini“auf den Leib geschrieben. Wie fühlt sich das als Schauspieler an?
Ulrich hat mich einmal singen gehört, und das hat ihm getaugt. So entstand bei ihm die Idee des Richie Bravo, des Schlagersängers. Ich habe ja nicht Schlager gesungen früher, das entstand auf Ulrich Seidls Mist! (lacht) Wofür ich übrigens sehr dankbar bin, weil ich habe den Schlager lieben gelernt, weil der Schlager so easy rüberkommt, dass man sich in schlechten Zeiten identifizieren kann.
Er brauche Schauspieler, die nicht spielen, sondern die Rollen sind, sagt Seidl. Kommt einem ein Charakter mit all seinen Abgründen so nicht viel zu nahe?
Ich bin als Schauspieler, wenn ich diesen Beruf ernst nehme, und das tue ich, immer verpflichtet, die Seite in mir selbst zu finden … Wie wäre ich, wenn ich Richie Brave wäre? Man schöpft jede Figur aus sich selbst, weil man sonst ja eine Plattitüde spielen würde. Wir hatten eine lange Vorbereitungszeit, bis ich in dieser Rolle des Richie Bravo auch nachts um eins agieren konnte. Das ist die Art, in der Ulrich Seidl arbeitet, und die ich sehr toll finde. So sollte man sich grundsätzlich jede Rolle erarbeiten. Das kostet auch viel Kraft, das ist eine lebenslange Therapie, die man da durchmacht, die Seiten an sich zu entdecken und sich darauf einzulassen. Mein Gott, wenn ich mich nicht darauf einlasse, dann bin ich ein Beamten-Schauspieler. Das war ich nie und will ich nicht sein.
Improvisation ist bei Ulrich Seidl ein großes Thema. Wie läuft denn das am Set ab?
Die Szenen sind vorgegeben, er instruiert mich, und er instruiert meinen Partner. Wir wissen aber nicht, wie jeder instruiert ist und prallen aufeinander. Wir spielen die Situationen innerhalb unserer Figuren, ohne dass sie schriftlich vorgegeben sind. Man weiß nie, was passiert. Es ist alles inszeniert, nichts geschieht, ohne dass Ulrich damit einverstanden ist. Ich finde, das ist eine unglaublich spannende Art zu arbeiten, und ich bevorzuge sie auch, weil sie ganz authentisch ist. Spontan, aber doch geplant.
Einer Ihrer Partner war Hans-Michael Rehberg, der in „Rimini“ in seiner letzten Rolle zu sehen ist. Wie war die Zusammenarbeit mit ihm?
Hans-Michael Rehberg ist ein Held für mich. Das muss ich ganz sentimental und ehrlich sagen. Er wusste, dass er Krebs hat, dass er stirbt. Er war ein richtiger Schauspieler, der gesagt hat, wenn ich abtrete, dann trete ich mit einer guten Rolle ab. Ihm ging es teilweise beim Dreh schon sehr schlecht, aber sobald „Kamera läuft. Und bitte!“ zu hören war, war der aber so was von da und so was von großartig!
Sehr speziell war auch der Drehort. Es musste ja lange verschoben werden, weil der Nebel nicht gekommen ist im winterlichen Rimini …
Das ist bei Ulli das normale Ding! Bei jedem Film, den ich mit ihm gedreht habe, war das so, dass wir auf den Schneeregen, den Schneesturm oder den Wolkenbruch gewartet haben. Das macht ihn ja schon fast heilig, den Ulrich Seidl, dass das dann irgendwann kommt. Das ist magic! Rimini im Sommer mit Scheintouristen ist ja urfad, im Winter hat es was von einer Geisterstadt, von Western. Und ich bin ja ein alter Westernfreak.
Die Lieder, die Richie Bravo singt, stehen im totalen Kontrast zu seinem Leben. Er singt von der großen Liebe, wird aber bezahlt für den Sex mit älteren Damen. Was ist die Lüge? Die Lieder, das Leben, beides?
Ich würde sagen, Richie Bravo verkauft Träume. Er weiß, dass er den Höhepunkt seiner Karriere schon länger hinter sich hat. Er kämpft, er nimmt seine Lieder ernst und er hat gar keine andere Möglichkeit, als im nebeligen Rimini die Träume von Strand, Meer, Sonne und Amore hochzuhalten — all das, wonach im Grunde jeder Mensch Sehnsucht hat. Er verkauft Sehnsüchte und das auf eine ehrliche Art, weil es auch seine sind. Er tut das auch, um sich nicht selbst zu verlieren.
Liegen Ihnen diese gebrochenen Helden besonders?
Also, um ehrlich zu sein, irgendwelche glatten Figuren zu spielen, dafür ist mir meine Lebenszeit zu teuer. Ich finde „broken heroes“ viel interessanter. Richie Bravo hätte schon lange aufgegeben, wenn er schwach wäre. Er ist aber nicht schwach. Er ist ein Cowboy, der sagt: Hey, aufgeben tut man einen Brief!
Es gibt in „Rimini“ sehr explizite Sex-Szenen …
Das sind Szenen, wo man sieht, dass jeder Mensch ‚was hat, was sexy ist. In einer Zeit, wo sich Sexualität darüber definiert, ob jemand einen Waschbrettbauch oder aufgespritzte Titten hat … das zerstört ja, niemand fühlt sich mehr wohl. Ich glaube zu entdecken, dass Sexualität woanders herkommt. Das gilt auch im Alter. Wir haben ja nicht nur Sex, wenn wir 20, 30 sind. Das zeigt Ulrich Seidl und da kann ich ihm nur sehr zustimmen.
Ulrich Seidl sagt „mit Richie Bravo verkörpert Michael Thomas die Rolle seines Lebens“. Stimmt das?
Er meint vielleicht damit, dass mich diese Rolle in noch größere Höhen katapultiert als andere. Damit hat er schon recht. Ich bin ihm wahnsinnig dankbar, denn ohne Ulrich Seidl wäre ich nicht da, wo ich bin. Die Rolle meines Lebens stimmt aber insofern nicht, dass ich nicht Richie Bravo bin, aber ich habe ihn unglaublich gerne gespielt.
Mit MICHAEL THOMAS sprach Mariella Moshammer