Heute wird der Nachfolger des Oberösterreichers Christoph Leitl als Präsident von Eurochambres, der europaweiten Wirtschaftskammer-Organisation, gekürt. Für die Position kandidiert der Luxemburger Luc Frieden (58), der unter anderem Justiz- und Finanzminister seines Landes gewesen ist. Die Amtsübergabe erfolgt mit Jahreswechel.
Gestern zog der 72-jährige Leitl anlässlich der Wahl eine erste Bilanz seiner zwei Perioden und damit vier Jahre umfassenden zweiten Amtszeit. Von 2002 an hatte er diese Posten bereits zuvor vier Jahre lang innegehabt.
Rettung, Erholung und Wiederaufbau gelungen
In der „schwierigsten Zeit“ der Corona-Pandemie habe sich die europäische Wirtschaftsvertretung besonders bewährt, betonte Leitl gestern in Brüssel. „Die ursprünglichen düsteren Prognosen hatten Millionen Arbeitslose vorhergesagt.“ Da habe man gemeinsam mit den europäischen Institutionen „Rettungsringe ausgeworfen“, spielte Leitl auf die Hilfsmaßnahmen an.
Dadurch sei das Schlimmste verhindert worden, es habe eine Erholung einsetzen können. Nun gelte es, die Phase der Neustrukturierung fortzuführen.
Dafür „müssen wir Europas Stärken einsetzen und den Begabungs- und Talente-Wettbewerb gewinnen“, sagte Leitl. Wirtschaftliche Chance für Europa seien gut ausgebildete Menschen, die Innovationen schaffen, die konkrete Probleme lösen. Und weil Bildung auf regionaler Ebene erfolge, „bin ich ein Verfechter eines Europas der Regionen“.
Konkrete Probleme sind etwa Ressourcenmangel und Umweltverschmutzung. Daher ortet Leitl „riesige Chancen“ in der Entwicklung einer Kreislaufwirtschaft: „Wir müssen wirtschaftliche Kreisläufe neu denken und Ressourcen wieder zurückführen.“ Dafür brauche es bestens ausgebildete junge Menschen.
Besonderes Augenmerk habe man daher auf die Jugend gelegt, sagte der Präsident. Stolz ist er darauf, dass es auf seine Initiative mit dem damaligen Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker gelungen ist, das Studierenden-Austauschprogramm „Erasmus +“ auf Lehrlinge und junge Unternehmerinnen und Unternehmer auszuweiten.
Manches sei auch nicht gelungen, sagte Leitl, „etwa in der Krise den Zusammenhalt Europas zu stärken“, statt in Nationalismen zurückzufallen. Auch dass internationale Handelsabkommen so viele Gegner haben, kritisierte Leitl. Man dürfe nicht auf Abschottung setzen. „Da überschätzt sich Europa und öffnet Türen für andere wie etwa China.“ Zudem würden in solchen Abkommen auch Qualitätskriterien und Klimaschutz-Vorgaben festgeschrieben. „Umweltschutz gelingt besser mit als ohne Abkommen.“
Kritik übte Leitl erneut an der Sanktionspolitik gegenüber Ländern, die europäische Werte nicht einhalten. Hier gelte es vielmehr, durch Vorbildwirkung zu überzeugen: „Unsere Werte müssen so glänzen, dass sie nachahmenswert sind.“
Der frühere EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker kommentierte den Abgang Leitls von der Eurochambres-Spitze auf VOLKSBLATT-Anfrage so: „Man kann über Freunde nicht objektiv reden, weil man nur allzu gern deren Schwächen übersieht. Selbst wenn ich ihn nicht mögen würde, könnte ich bei ihm keine Schwächen entdecken.“
„Eine der wichtigsten Stimmen in Europa“
Er ist ein überzeugter Europäer“, der nicht schönrede, sondern der etwas tue, sagte Juncker. Leitl denke in großen Zusammenhängen, „er war nie stur auf einem stupiden neoliberalen Kurs“, er habe vielmehr auch Verständnis „für Menschen, die in den Betrieben arbeiten. Seine Stimme zählt weiterhin, sie ist eine der wichtigsten österreichischen Stimmen in Europa.“ Das dürfte sie bleiben, denn Leitl ist weiterhin unter anderem Vorsitzender der weltweiten Kammerorganisation World Chamber Platform.
Von Christian Haubner aus Brüssel
Der Autor war auf Einladung von Eurochambres Wien in Brüssel.