Nach Benjamin Brittens „Peter Grimes“ gab es nun in der Wiener Staatsoper dank Bogdan Roscics erfreulichem Hang zum auch weniger populären Repertoire eine Wiederaufnahme von Erich Wolfgang Korngolds 2004 von Willy Decker genial inszenierter, Ende des 19. Jahrhunderts in Brügge angesiedelter Oper „Die tote Stadt“.
Zum Zeitpunkt der Uraufführung 1920 war Korngold gerade einmal 23 Jahre alt. Sein Vater, Julius Korngold, stand unter dem Pseudonym Paul Schott seinem Sohn beim Verfassen des Librettos zur Seite.
Und noch jemand hatte seine Hand im Spiel, ohne es zu wissen: Sigmund Freud, dessen Erkenntnisse über die Traumdeutung bereits erschienen waren. Das kompositorische Können des jungen Korngold war und ist umstritten, zwei Weltschlager gibt es: das leitmotivische „Glück das mir verblieb“ Mariettas und „Sein Sehne, mein Wähnen“ des Paul.
Paul hat seine geliebte Gattin Maria verloren, nimmt diesen Tod nicht wahr, kämpft auch gegen die Argumente seines Freundes Fritz, lernt die Tänzerin Marietta kennen und versinkt in eine lange Traumsequenz nach Freud’schem Muster, in der das Künstlerleben der lebenslustigen Komödiantin ganz nach Art Zerbinettas aus Richard Strauss‘ „Ariadne auf Naxos“ sein Unverständnis reizt.
Nach einer Liebesnacht von Paul und Marietta provoziert Marietta anhand der Haarflechte von Maria sein Innerstes, Paul erwürgt sie und erwacht. Paul, in die reale Welt zurückgekehrt, trennt sich von Marietta und verlässt die tote Stadt Brügge.
In Bewegung geratene Träume im Hintergrund
Decker hat in der durch Lichteffekte unterstrichenen Bewegungs-Regie in der fantasiebereicherten Ausstattung (Wolfgang Gussmann) ein Gesamtkunstwerk entfaltet, das nun reanimiert wurde. Die in Bewegung geratenen Träume rollen hinter den Lehnstühlen im Vordergrund effektvoll ab.
Am Pult steht Staatsopern-Debütant Thomas Guggels, Staatskapellmeister in Berlin auf dem Weg nach Frankfurt. Er hat die schwierige Partitur mit vielen Details und wenigen großen Bögen bestens in der Hand. Orchester und Sänger bieten demnach Höchstleitungen. Klaus Florian Vogt (Paul) ist rollenbedingt ein meist statischer Träumer mit wohlklingendem, flexiblen Tenor und neben seinem Freund Fritz besonders stur.
Diesen verkörpert wie auch Traumfigur Frank in der Komödiantentruppe Adrian Eröd stimmlich und darstellerisch als starke Persönlichkeit, die sich erst zuletzt, also nach dem Traum, durchsetzt. Die bemerkenswerteste Leistung des Abends beschert freilich die italienische Sopranistin Vida Mikneviciute als Marietta/Marie: eine vom Komponisten mit allen Schwierigkeiten versehene Partie zweier entgegengesetzter Charaktere. Als Komödiantin hat sie eindeutig Zerbinetta als Vorbild gewählt. Die Wechsel zwischen Mariettas Leichtlebigkeit mit kahlem Kopf und Haarpracht im Wechsel von Traum zur Wirklichkeit sind in jeder Hinsicht frappant. Monika Bohinec als ideal verkörperte Hausdame Brigitte und die Schar der Komödianten fügen sich in die gelungene Wiederbelebung dieses vielfach unterschätzten Meisterwerkes.
Termine: 9., 11. und 14. Februar