„Katastrophe!“, soll Samuel Becketts Frau Suzanne ausgerufen haben (der Meister selbst schwieg hauptsächlich).
Der Nobelpreis versaut dem Schreibenden das unabhängige Denken. Das gilt nicht erst seit den abfälligen bis entsetzten Reaktionen von Sartre bis Beckett (1969). Was lässt nun Peter Handke, Ausgezeichneter des Jahres 2019, von sich lesen?
Ein schmales Bändchen ist´s geworden, „Mein Tag im anderen Land“, keine einhundert Seiten lang. Vielleicht ein Schelmenstück, mythische Reise oder Psychogramm eines unheiligen Narren.
Anfängliche Schimpftirade („Nieder mit der Schöpfung!“), die auch die nun wirklich unschuldigen Amseln („Maul halten!“) und den Erzähler selbst treffen: „Hinein hinten in den Müllwagen mit mir zum Zerhäckseltwerden.“
Er, ein Wanderer
Der Erzähler ein Obstbauer, der einst in einen langen wahnhaften Zustand fiel. Ein Prozess der Klarwerdung? Nach seinen Tiraden, in seinem „Friedhofsnachtlager“, ist er friedlich und spricht zu den Tieren. (Sie hören sogar zu, außer die Fledermäuse.) Von seiner „Dämonenzeit“ erlöst ihn ein „Seefischer“, nebst biblischen Anspielungen wird sich der Suchende auch noch in die griechische Mythenzeit verirren.
Der Erzähler ein Wanderer (mit „weiten, im Gehwind knatternden Hosenbeinen“), wie bei Handke schon seit Jahren gewohnt. Er setzt über den See in das „andere Land“, wo die Dinge namenlos sind (einzig „Brennnessel“ lässt er nach ihrer Berührung gelten). Die Menschen dort begegnen ihm mit warmherzigem „Du“, er genießt seine Namenlosigkeit. Er wird laufend verwechselt, unter anderem mit einem — Obacht, Selbstironie! —„vormals landesweit bekannten Schanzenspringer“.
Eindringliche Bilder, Porträt-Miniaturen nach Art C. G. Jung´scher Archetypen. Man kann Handke lieben oder ablehnen. Man sollte ihn lieben. Hier wagt einer unablässig, versteht Literatur als radikalen Gegenentwurf zu einer Menschenwelt, die selbstherrlich Dinge benennt und doch von den Dingen kaum eine Ahnung hat. Die, um ihr zu entsprechen, nach seelisch-körperlichen Zurichtungen und Verformungen verlangt. Wie wunderbar hingegen das Gegenbild Handkes, wenn der Erzähler ein Gähnen gähnt, wie das nur Säuglinge können.
Er, ein Anderer
Am Ende ein Traum, aus dem Spiegel blickt ein „Unbekannter“. Grauen wandelt sich in Vertrautheit, der Andere: „Wir, du wie ich, wollten ja nie etwas bauen; bloß nichts Festes, nur nichts Massives. Bloß nicht den armen Planeten noch mehr vollbauen, totbauen! Aber Luftschlösser, die unseren: Die sind was anderes.“
Widerstand, Liebe, Grimmigkeit, Frohlocken, Sprachlust und -verweigerung. „Mein Tag im anderen Land“ erfreut Handke-Fans und lockt andere, es zu werden.
Von Christian Pichler