„24 Stunden“: Klatschen ist nicht genug

Eindringlicher Dokumentarfilm über Migrantinnen, die das österreichische Pflegesystem schultern

Die Rumänin Sadina Lungu arbeitet als Pflegerin in Österreich. © Polyfilm

Sie sind unsichtbar. Die alten Menschen, die es nicht mehr schaffen, ihren Alltag allein zu bewältigen, ebenso wie die Frauen, die sich rund um die Uhr um sie kümmern. In seinem Dokumentarfilm „24 Stunden“ zeigt uns der oö. Regisseur Harald Friedl durch eine behutsame Inszenierung, eine rumänische Pflegerin bei der Arbeit und erzählt darüber hinaus auch von den Ausbeutungsverhältnissen, ohne die das Pflegesystem in Österreich zusammenbrechen würde.

Zwei Heldinnen

Genau genommen hat der Film von Harald Friedl („Brot“, „What Happiness Is“) zwei Heldinnen: Die um die 50 Jahre alte Rumänin Sadina Lungu und die über 80-jährige, bettlägerige Elisabeth Pöschl, die sie von frühmorgens bis spätabends in ihrer Wohnung in Bad Vöslau pflegt.

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Die ältere Dame ist inzwischen dement und mürrisch. Sie kann nicht mehr aufstehen, geschweige denn gehen. Sie schimpft auch gerne, aber zwischen den beiden Frauen, die sich sichtlich schon lange kennen, besteht merklich eine gewisse Zuneigung.

Haushälterin, Freundin, Putzfrau

Die Kamera beobachtet Sadina bei ihrem Ritual: Morgenwäsche, Körperpflege, Windeln wechseln, Wohnung putzen, Essen zubereiten, Gesellschaft leisten. Die gebürtige Rumänin ist Haushälterin, Freundin und Putzfrau in einem – und das fast ohne Pause, sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag, oft völlig isoliert mit der Frau, die sie betreut. Neben ihrem Bett steht ein Babyfon, für den Fall, dass Elisabeth in der Nacht aufwacht. Sie massiert der alten Frau den Kopf und schiebt sie jeden Tag mithilfe einer Hebevorrichtung ins Wohnzimmer, wo klassische Musik gehört wird.

Ruhige, intime, schnörkellose Beobachtung

In ruhiger, intimer und schnörkelloser Beobachtung gelingt dem in Steyr geborenen Friedl nicht nur eine Würdigung seiner beiden Protagonistinnen, sondern eine Würdigung des Pflegeberufes an sich. Sadina Lungu steht stellvertretend für alle rund 60.000 osteuropäischen 24-Stunden-Betreuerinnen, die in Österreich unter prekären Bedingungen arbeiten.

Alle paar Wochen reisen zumeist Frauen mit oft überteuerten Verkehrsmitteln aus Rumänien, der Slowakei, Bulgarien, Kroatien oder Ungarn nach Österreich, um körperlich oder psychisch schwerstkranke Menschen in ihren Häusern zu betreuen.

Dass die Pflege ein extrem harter Job ist, das wurde vielen erst zu Beginn der Corona-Pandemie bewusst. Der Umstand, dass während des ersten Lockdowns 2020 rumänische Pflegerinnen eingeflogen wurden, war anscheinend auch die Initialzündung für „24 Stunden“. Die Menschen klatschten damals vor Bewunderung an ihren Fenstern. Aber das Klatschen, so der Film, ist längst verhallt.

Ein einsames Leben

Im Gegenteil: Nicht selten kommt es vor, dass die Betreuerinnen von Herr und Frau Österreicher respektlos behandelt werden. Es ist ein einsames Leben. Rauchen und Videotelefonie mit Familie und Freunden in Rumänien helfen Sadina durch die langen Tage. Und sie verfolgt die Facebook-Posts ihrer Kolleginnen und kommentiert die Veröffentlichungen der Plattform IG 24, einer Interessensgemeinschaft von 24-Stunden-Pflegekräften in Österreich, die sich für die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen einsetzt.

Diese Frauen müssen ihre Familien vernachlässigen, müssen Strapazen für wenig Geld auf sich nehmen und sind zum Teil dubiosen Vermittlungsagenturen ausgeliefert. Es stimmt alles sehr nachdenklich. Die Geschichte von Sadina und Elisabeth kann uns ein wenig erden und lässt so manches, was uns tagtäglich beschäftigt, eigentlich nur als Luxusproblem erscheinen.

Von Marietta Steinhart