Adele Neuhauser gehört dank ihrer Rolle als „Tatort“-Kommissarin Bibi Fellner und dem von Uli Brée geschriebenen Serienerfolg „Vier Frauen und ein Todesfall“ zu den bekanntesten Filmschauspielerinnen des Landes. Von Brée stammt auch das Drehbuch für „Ungeschminkt“, den jüngsten Film mit der 65-Jährigen in der Hauptrolle. Darin spielt sie Josefa, die einmal Josef war. Die Koproduktion von ORF und BR ist am Mittwoch, 20.15 Uhr, in ORF 2 (auf ORF ON schon ab Dienstag) zu sehen.
Gedreht wurde in München und Umgebung im Mai und Juni 2023. Im Mittelpunkt steht Josefa, die – damals noch als Josef – vor mehr als 40 Jahren ihr Heimatdorf Hals über Kopf verlassen hat und nach dem Tod ihrer Mutter nun zurückkehrt. Dort trifft sie nicht nur ihren besten Freund Blume (Ulrich Noethen) aus Jugendtagen wieder, sondern auch ihre Exfrau Petra (Eva Mattes). Viel Unausgesprochenes kommt schrittweise ans Licht.
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Regisseur Dirk Kummer hat diese Geschichte über Missverständnisse, Kränkungen und Vergebung als wohltuend unbeschwertes Drama weit weg von Betroffenheitskitsch oder pädagogischem Zeigefinger, mit starkem Ensemble und einer guten Dosis Humor inszeniert. Neuhauser brilliert vor allem in den introspektiven Szenen, in denen man ihrer Figur in Großaufnahme förmlich beim Fühlen zuschauen kann. Mit der APA sprach die Schauspielerin über ihre intensive Vorbereitung, stille Emotionalität und die christlich-dominierte Weltordnung.
APA: Frau Neuhauser, wie spielt man als Frau eine Frau, die einmal ein Mann war?
Neuhauser: Das habe ich mich auch lange gefragt. Ich habe mich natürlich intensiv darauf vorbereitet. Ich habe Dokumentationen geschaut, Literatur gelesen darüber, was es rein medizinisch und psychisch bedeutet, eine Geschlechtsangleichung zu vollziehen. Und ich hatte das Glück, mit zwei Transpersonen sprechen zu können. Ich bin auch bei der Recherche in meiner Vergangenheit an Dinge gestoßen, die mir in meiner Jugend, in meiner Selbstfindung im Weg standen, wie ich mir im Weg gestanden bin und ich auch manchmal nicht wusste: Was bin ich? Ein Manderl oder ein Weiberl? Ich habe lange überlegt: Betone ich bei Josefa die männliche Seite in mir? Betone ich die weibliche? Betone ich überhaupt irgendetwas? Ich habe mich entschieden, nichts davon zu tun, weil die Geschichte so stark ist.
APA: Haben Sie sich beim Lesen des Drehbuchs einmal gedacht: ‚Diese Rolle ist mir zu heikel‘?
Neuhauser: Es wird ja immer wieder diskutiert, ob nur Transschauspieler Transpersonen spielen dürfen usw. Ja, natürlich habe ich darüber nachgedacht. Umso intensiver habe ich mich vorbereitet. Ich glaube, es geht um den aufrichtigen Zugang zum Thema.
APA: Ich hatte beim Sehen des Films den Eindruck, dass es letztendlich gar nicht so sehr um das Genderthema geht, sondern um Missverständnisse, um das Nicht-Reden-Können …
Neuhauser: Genau. Die Geschichte geht im Endeffekt darum, wie Menschen verletzt werden und anderen Verletzungen zufügen und wie man sie verarbeitet. Das ist ein großes Thema. Es hat nicht nur für Josefa das Leben verändert, sondern auch für Blume und Petra. Josefa musste ausbrechen, Petra war gezwungen zu bleiben, hätte aber auch gerne ein anderes Leben geführt. Das Versöhnliche an dem Film ist aber, dass diese Menschen in der Lage sind, sich physisch gegenüberzustehen und ihre Verletzungen auszusprechen, sie sich „entgegenzuschreien“, und sie dann einen Weg finden, um eine Zukunft möglich zu machen.
APA: Der Film ist weder rührselig noch belehrend und hat trotz des großen Themas etwas sehr Unverkrampftes. Wie wichtig war Ihnen diese Art des Zugangs?
Neuhauser: Sehr. Es hat sehr viel Kraft gekostet, weil es sehr große Emotionen sind, durch die Josefa da wandelt. Deshalb habe ich mich dafür entschieden, mich im Spiel sehr zurückzunehmen und mehr zu empfinden, mehr in die stille Emotionalität zu gehen.
APA: Braucht es gerade bei Tabuthemen eine gewisse Leichtfüßigkeit?
Neuhauser: Aber natürlich. Genau das braucht es – eben ohne diesen Voyeurismus, ohne Sensationslust, ohne diesen schmutzig besetzten Aspekt, sondern einfach von der menschlichen Warte aus gesehen. Lasst doch zu, dass jemand sein Leben anders gestalten möchte. Von diesem Menschen geht ja keine Gefahr aus. Es ist oft so, als wäre das Anderssein oder Aus-der-Norm-Gehende eine Gefahr für die Gesellschaft. Das muss man endlich einmal ablegen. Und aufgrund der politischen Situation ist dieser Film gerade so wichtig und aktuell.
APA: Warum polarisiert das Geschlechterthema eigentlich so sehr?
NEuhauser: Weil man Angst vor dem Fremden hat – fremd insofern, als es außerhalb der christlich-dominierten Weltordnung ist. Dieser Umgang mit den typischen Vorzeichen einer Geschlechterzuordnung muss sich sowieso ändern. Wir müssen uns verändern, sonst funktioniert unser Leben nicht mehr. Wir gehen zwar jetzt wieder zehn Schritte zurück, aber nicht alle in der Gesellschaft. Wir, die wir eine andere Zukunft vor uns sehen, müssen mutig weiter in diese Richtung gehen. Ich habe Enkelkinder, ich habe einen Sohn… Wie soll diese Welt weiter funktionieren, wenn wir in diesen alten verstaubten schmerzlichen Bildern festhängen?!
APA: „Ungeschminkt“ ist nach „Faltenfrei“ der zweite Film mit Uli Brée als Drehbuchautor und Dirk Kummer als Regisseur. Was schätzen Sie an dem Duo?
Neuhauser: Es ist ganz komisch. Wir haben das gar nicht geahnt, dass das so organisch und eng werden würde (lacht). Aber die Ergebnisse, die Arbeit, die Freude aufeinander geben uns recht, dass wir da weitermachen können. Uli Brée kennt mich schon so wahnsinnig gut und fordert mich auf eine so schöne Art und Weise. Das ist ein großes Privileg, wenn man jemanden hat, der einen so herausfordert auf so liebevolle Art und Weise. Und Dirk Kummer ist ein Regisseur, der mir einen so liebevollen Freiraum gibt, mich so sensibel leitet.
APA: Gibt es Pläne für ein weiteres Projekt in dieser Konstellation?
Neuhauser: Ja, Uli schreibt schon am nächsten Film, da geht es wohl 2025 los. Das wird aber ein völlig anderes Thema sein – mit einer völlig anderen Frauenfigur.
(Das Gespräch führte Thomas Rieder/APA)