Adrian Ghenie denkt in der Albertina Schieles Werk weiter

Es ist wie ein Hineingleiten in eine andere, verstörende Welt: Der Boden der Pfeilerhalle in der Albertina ist mit Edelstahl verkleidet, die historischen Säulen wurden glatt verschalt, an den Wänden prangen Gemälde von fleischlichen Mutanten: In der Ausstellung „Schattenbilder“ des rumänischen Künstlers Adrian Ghenie erinnert auf den ersten Blick nichts an Egon Schiele, auf dessen verschollenes Werk sich dieser von der Albertina in Auftrag gegebene Werkzyklus bezieht.

Für Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder, der mit Beginn des kommenden Jahres von Ralph Gleis abgelöst wird, schließt sich mit dieser neuen Schau ein Kreis, wie er am Donnerstag bei der Presseführung erläuterte. Er habe am Ende seiner Zeit am Haus zu Schiele, dessen Werk ihn als Kunsthistoriker immer begleitet habe, zurückkommen wollen. Basierend auf einer Idee von Infinitart Foundation-Gründer Ciprian Adrian Barsan wollte man sich jenem Teil von Egon Schieles Werk widmen, das als verschollen gilt und nur mehr in Form von Schwarz-Weiß-Fotografien erhalten ist. Ausgehend davon schuf Ghenie schließlich insgesamt 28 Werke – sowohl Gemälde als auch die dazugehörigen Kohlestudien -, die jedoch „alles andere als eine Kopie der Originale sind“, so Schröder.

Vielmehr finden sich in den bunten, auch farblich sehr an Fleischlichkeit gemahnenden Gemälden lediglich Motive der Originale wieder, von denen einige im hinteren Raum als Fotografien zu sehen sind. Es sind ferne Echos dieser „Schattenbilder“, die nicht zuletzt aufgrund der Spiegelungen auf dem glatten Stahlboden ein gespenstisches Eigenleben entwickeln. Freilich mit Schieles Bildsprache gemeinsam haben sie das Motiv des verrenkten, entstellten Körpers, das Hinter-sich-Lassen der anatomischen Wirklichkeit. Schröder fühle sich beim Betrachten an „Body Horror-Filme“ erinnert, deren Hauptfiguren „den Verlust ihres Selbst“ zu bewältigen haben.

Und so sind großformatige Arbeiten wie „Auferstehung 1“, „Weltwehmut 1“ oder „Kniender Akt mit erhobenen Händen 1“ verstörende Spiegelbilder einer Welt, die aus den Fugen geraten ist, wie Schröder mit Verweis auf die heutige Verfasstheit der Gesellschaft anmerkte. Dies wird nicht zuletzt durch jene heutigen Requisiten deutlich, die Ghenie in seine Arbeiten eingegliedert hat: Da finden sich Laptops, Smartphones, ein Bürostuhl oder Heizkörper genauso wie eine Toilette.

Für Ghenie steht die Verformung im Zentrum: „Sobald man die Zwänge der Anatomie hinter sich lässt, kann die Art und Weise, wie man verformt, auf einer tieferen Ebene zu einem Porträt des Charakters oder der inneren Psyche werden“, wird er in den Unterlagen zitiert. Welche inneren Verformungen die Betrachter in die Werke hineinlesen, bleibt in dieser ungewöhnlichen Schau schließlich jedem selbst überlassen.

Ausstellung „Adrian Ghenie: Schattenbilder“ in der Albertina, 11. Oktober bis 2. März 2025. albertina.at

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