aktionstheater ensemble hinterfragt rechte Erfolge

„Wir haben versagt“ präsentierte sich als „performative Selbstanklage“ © APA/aktionstheater/Stefan Hauer/STEFAN HAUER 6850 DORNBIRN AUSTR

Was tut man als politisch engagiertes Theaterensemble, wenn man nach 35 Jahren erkennt, dass all die Mühe umsonst war? Man gerät in Selbstzweifel und gesteht: „Wir haben versagt“. Die „performative Selbstanklage“ des aktionstheater ensembles hat am Dienstagabend am Dornbirner Spielboden ihre Uraufführung gefeiert. Im Jänner gastiert man im Theater am Werk in Wien.

Ausgerechnet im Jubiläumsjahr des aktionstheater ensembles wird die FPÖ in Österreich stimmenstärkste Partei, Trump übernimmt wieder, Putin droht den Krieg gegen die Ukraine zu gewinnen, Kim sekundiert. Der Rechtsruck, gegen den das Theater mit allen Mitteln seiner Kunst „mühsamst“ 35 Jahre lang gekämpft hat, sei vollzogen, resümiert Theatergründer Martin Gruber und gesteht: „Wir haben versagt“. Diese Erkenntnis packt er mit seinem Ensemble in eine bös-nachdenkliche Collage aus Text, Musik und Video.

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Wie konnte es soweit kommen?

70 Minuten lang wird vor einer schwarz-weißen Videowand, die Kreuz, Gischt und Schaum zeigt, räsoniert „warum es so weit gekommen ist, wie es gekommen ist“. Zur Einstimmung präsentiert Thomas (Thomas Kolle), der intellektuelle Künstler unter den vier Bühnencharakteren, seinen makellosen Hintern. Wackelt verführerisch mit demselben, um sich dann umzudrehen und seine Insignien der Macht stolz zu präsentieren. Die nackte Tatsache: Es ist der Mann, der das Geschehen dominiert. Da hat frau nichts mehr zu sagen. Kollegin Moni (Monica Anna Cammerlander) hat es kapiert und resigniert. Sie redet nicht mehr, sie vermittelt ihre Botschaft von Liebe und Frieden mit Gebärdensprache. Eindrucksvoll ernst und konzentriert, fast die ganze Performance lang – wäre da nicht der besoffene Kollege, der sie gegen Schluss mit Gewalt zum Reden bringt.

Wer sind nun die, die „ihn, ihn halt, den ganz Rechten“ gewählt haben? Der nette Ben/Benny/Benjamin (Benjamin Vanyek) liefert die schmerzhafte Erkenntnis mit einem „Gschichtl“ aus seinem Leben. Vor der Nationalratswahl habe er die „Wahlkabine“, eine Online-Entscheidungshilfe für Unentschlossene, befragt, welche denn für ihn die richtige Partei sei. Und, Benjamin fassungslos: „Zu 80 Prozent die FPÖ, die FPÖ!!!“ Da fliegt er lieber weit weg, nach Sri Lanka. Und erzählt aus dem Urlaub in der Ferienanlage. Die Anlage habe er nicht verlassen, weil es ihn „draußen überfordert hätte“. Natürlich habe er dort auch Einheimische gesehen. Srilankesen – „nennt man die so?“, die zwar wenig verdienen, aber glücklich seien. Weniger glücklich sei er, so die Eigenbeschreibung, Wiener Sozi, daheim mit seinen Nachbarn, „die sind eh nett“, aber würden halt so Eigenartiges kochen, so ein Geruch würde sich da immer breitmachen. Der Sozi-Künstler, ein verkappter Alltagsrassist.

Ermächtigung der Stimmlosen

Was kochen denn die immer? Die Frage richtet sich an „unsere Zeynep“, die Kollegin mit Migrationshintergrund (Zeynep Alan). Ihr gehen solche Fragen spür- und sichtbar auf die Nerven. Zeynep hat Besseres zu erzählen. Sie, die Frau ohne Wahlrecht, hat gewählt und zwar mit einem Trick. Den zeigt sie via Social-Media-Video (gestaltet von Julius Hellrigl). Im Bild die Beauty-Influencerin mit Mascara, im Text die Aktivistin: „Schicke deinen Freund auf Urlaub. Beantrage für ihn die Briefwahl.“ Und dann mache man das Kreuz an der richtigen Stelle und für den Freund unterschreiben solle man dann ja nicht vergessen. Die Aktion können man beliebig wiederholen, für den Bruder, den Vater, den Onkel. Ermächtigung der Stimmlosen oder Möglichkeit des Wahlbetrugs der falschen Seite? Die Interpretation wir dem Publikum überlassen.

Video
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Zeynep Alan liefert einen weiteren Höhepunkt des Abends mit ihrer zynisch-erotischen Version des allseits geforderten Aufeinanderzugehens, Miteinanderredens. Sie imaginiert, wie sie mit „ihm, dem ganz Rechten“, reden würde. Ganz nahe würde sie ihm kommen, sein schönes Kinn mit der Zunge berühren, sein Gesicht, seinen Nacken, den Rücken hinunter…

Das Böse wird vervielfältigt

Während die vier Künstlerinnen und Künstler beim Versuch der Analyse scheitern, tummeln sich auf der Videowand die Bösen der Gegenwart. Trump, Putin, Kim. Menschenmassen tragen alle ihr Antlitz, das Böse wird vervielfältigt. Trost kann da nur die Musik spenden. Jean Philipp Oliver Viol thront auf seinem Elfenbeinturm, überblickt sie alle. Danielle Pamp performt seine Kompositionen und Arrangements als singende Barfrau. Sie füllt ihre Kolleg:innen ab und tröstet mit Balladen von Leonard Cohen, denen neue Arrangements verpasst wurden.

Mit „If It Be Your Will“, Cohens Gebet von Demut und Hoffnung, tanzt das Ensemble in die Nacht. Auf der Projektionswand tut das Ehepaar Trump, eng aneinander geschmiegt, das Gleiche. Was will uns das aktionstheater ensemble sagen? Glaubt an den politischen Heilsbringer? Oder gar an den lieben Gott? Oder eher doch an die eigene Macht als denkender Mensch? Brecht’sche Agitation liegt nicht in der Intention von Martin Gruber. Eher der Schubs zur Selbstermächtigung. Wenn er denn als solcher erkannt wird.

(Von Jutta Berger/APA)

„Wir haben versagt“, eine performative Selbstanklage, Uraufführung von Martin Gruber und dem aktionstheater ensemble. Konzept und Inszenierung: Martin Gruber; Text: Martin Gruber und aktionstheater ensemble; Dramaturgie: Martin Ojster; Musik: Jean Philipp Viol; Bühne und Kostüme: Valerie Lutz; Video: Resa Lut; Film: Julius Hellrigl. Mit Zeynep Alan, Monica Anna Cammerlander, Thomas Kolle, Danielle Pamp, Benjamin Vanyek und Jean Philipp Viol. Weitere Aufführungen am Dornbirner Spielboden am 5., 6. und 7. Dezember, 20.00 Uhr. Wiener Erstaufführung. 12. Jänner, 19.30 Uhr, Theater am Werk, Kabelwerk; aktionstheater.at