Alfred Kubins albtraumhafte Werke in der Albertina Modern

Seit jeher ist der Mensch fasziniert vom Bösen, doch kaum ein anderer Künstler zeigt die menschlichen Abgründe auf eine derart eindrückliche Weise wie Alfred Kubin. Die Albertina Modern widmet dem Grafiker von 14. August bis 12. Jänner eine Ausstellung, die zum Nachdenken über die Schattenseiten der menschlichen Psyche einlädt. Gezeigt werden Kubins Frühwerke, die den Pessimismus, die Angst und nicht zuletzt die Misogynie des Künstlers abbilden.

„Wenn ich Kubin betrachte, dann geht immer wieder durch meinen Kopf, wie der Begriff der Schönheit in jeder Kultur, Epoche, Zivilisation seine Gestalt verändert hat. Gemessen daran ist erstaunlicherweise der Begriff des Schrecklichen, des Bösen und des Hässlichen relativ stabil“, betonte Museumsdirektor Klaus Albrecht Schröder in seiner Eröffnungsrede. Und diese Aussage bestätigt sich beim Betrachten der ausgestellten Werke: Denn vor dem Hintergrund von Nahostkonflikt, Ukrainekrieg und der Veränderung der Gesellschaft durch die Digitalisierung weisen Kubins Bilder eine geradezu erschreckende Aktualität auf. Die Motive zeigen zeitloses Grauen und können, wie Schröder erklärte, ohne Hintergrundwissen kaum einer Epoche zugeordnet werden.

Die Ausstellung ist nach Themen gegliedert und fängt im ersten Raum mit „Von Geburt an dem Tode geweiht“ und „Femme Fatale“ an. Besonders eindringlich ist hier das Bild „Das Ei“, auf dem eine skeletthafte Schwangere mit riesigem Bauch abgebildet ist. Daneben steht bereits ein offenes Grab bereit, hinter dem sich ein Sensenmann befindet. Es ist eine der vielen Zeichnungen zu den Themen Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft, die sich durch das Œuvre ziehen.

Der nächste Raum zeigt Kubins brutale Weltsicht und drückt mit dem Überbegriff „Folterkammer“ bereits alles aus: Gefesselte, aufgehängte und aufgespießte Menschen werden hier unverfälscht gezeigt. Die Ausstellung macht in den Abschnitten „Albträume der Finsternis“ und „Entfremdung von Natur und Ursprung“, Kubins Angst vor der zunehmenden Technologisierung und Verwissenschaftlichung deutlich. Das Phänomen der sich immer schneller verändernden Welt verarbeitete Kubin beispielsweise mit dem Werk „Selbstbetrachtung“, welches 1901/2 entstanden ist und die Rückenansicht eines Mannes ohne Kopf zeigt, das Haupt liegt mit verzerrter Fratze dahinter.

Besonders eindringlich sind auch die animalischen Abbildungen Kubins. Im letzten Raum sind unter anderem die Faksimiledrucke der sogenannten Weber-Mappe zu sehen, benannt nach dem Kunstmäzen und Freund Kubins Hans von Weber. In diesen Blättern thematisierte Kubin vor allem die Angst vor dem unausweichlichen Tod. Auf dem Bild „Die Todesstunde“ etwa schreitet ein messerscharfer Zeiger mitleidslos vor und schreiende Köpfe stürzen nach und nach in den Abgrund.

Doch wieso diese grauenhaften Darstellungen und pessimistischen Sujets? Der 1877 in Böhmen geborene Künstler verarbeitete zweifelsohne in seinen Werken traumatische Erlebnisse und Schicksalsschläge. Trotzdem meinte Schröder, „wenn wir eine Persönlichkeit wie diese betrachten, macht es keinen Sinn sie auf monokausale Erlebnisse zurückzuführen. Es sind Erlebnisse die 10.000 und 100.000 andere Menschen auch erlebt haben. Es ist etwas, das wir nicht erklären können, etwas, das von Anfang an in der Persönlichkeit eines Menschen ist und die Gestaltungskraft hat, bewegende Momente in Form zu gießen.“

Fragwürdig bleibt, wieso es die Albertina Modern verabsäumt, die zahlreichen frauenverachtenden Werke kritisch aufzuarbeiten. Angesprochen wurde Kubins Misogynie in Schröders Rede, in den Ausstellungstexten ist jedoch nur eine Andeutung zu finden, in der diese problematischen Abbildungen auf den Zeitgeist geschoben werden. Nichtsdestotrotz zeigt die Ausstellung, dass man sich Kubins präziser Darstellung des Bösen und Abgründigen nicht entziehen kann. Wie der Titel der Schau bereits verrät, versteckt sich hinter dem Grauen eine „Ästhetik des Bösen“, die eine fesselnde Anziehungskraft ausübt.

„Alfred Kubin. Die Ästhetik des Bösen“, Kuration: Elisabeth Dutz, Laura Luzianovich (Assistenz), 14. August 2024 bis 12. Jänner 2025, täglich von 10 bis 18 Uhr, albertina.at

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