Alltägliche Verbindung mit belasteter Geschichte

Studenten der Linzer Kunstuni und der Kepleruni beschäftigen sich in einer Ausstellung mit der HIstorie der Linzer Nibelungenbrücke

Paula Ursprung hat die Nibelungensage aus feministischer Perspektive neu erzählt, die Illustrationen stammen von Danai Gijzen (nicht am Bild) © Mark Sengstbratl

Bis heute verweist keine Tafel, kein Denkmal, kein Schild auf die Geschichte der Linzer Nibelungenbrücke. Erstmals setzt sich nun die Ausstellung „ÜBER EINE BRÜCKE gehen / fahren / schreiben / forschen / reden / streiten“ (bis 18. Dezember 2024) an der Linzer Kunstuni mit ihrer Historie auseinander – Studierende der Kunstuni und der Kepleruni stellen Fragen danach, wie belastete öffentliche Objekte ausgestellt und besprochen werden sollen.

Granit aus Mauthausen und Zwangsarbeiter

Die Nibelungenbrücke stellt für viele eine ganz alltägliche Verbindung auf dem Weg zur Arbeit, zur Schule, zu den Universitäten, zum Einkaufen oder zu Freizeitaktivitäten dar. Vielen ist dabei nicht bewusst, dass sie ein NS-Bau ist. Sie wurde unmittelbar nach dem „Anschluss“ Österreichs ans Deutsche Reich gebaut. Damit sollte sie nicht mehr nur der Überquerung der Donau dienen, sondern auch die Ideologie des NS-Regimes repräsentieren.

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Die Brücke wurde nach der als „deutsch“ stilisierten Heldensage der Nibelungen benannt und auf ihr sollten Skulpturen der wichtigen Held:innen der Nibelungen aufgestellt werden. Beim Bau der Brücke wurde Granit aus den Steinbrüchen der Konzentrationslager Mauthausen und Gusen verwendet und sie wurde auch unter Einsatz von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeit errichtet.

Wenig Wissen in der Bevölkerung

„Wissen Sie, warum diese Brücke Nibelungenbrücke heißt?“: Fast niemand, erklärt die Historikerin Birgit Kirchmayr, Universitätsprofessorin für Neuere und Zeitgeschichte an der Kepleruni, bei der Präsentation der Ausstellung, habe die Frage beantworten können, die Studierende im Public-History-Projekt Nibelungenbrücke Passantinnen gestellt haben: „Umso mehr wollten wir gemeinsam in den Archiven graben, der Geschichte der Brücke nachgehen und sie in eine Ausstellung verpacken, die das Vergessene wieder hervorholt und diskutierbar macht.“

Zeitgemäßer Umgang mit Geschichte

Die Ausstellung setzt sich nicht nur mit der Geschichte der Brücke auseinander, sie stellt auch  Fragen danach, wie belastete öffentliche Objekte ausgestellt und besprochen werden sollen und entwirft Utopien und Visionen für einen zeitgemäßen Umgang mit dem Themenkomplex Geschichte, Materialität und Erinnerungsarbeit.

Zu sehen ist sie in den unmittelbar angrenzenden Brückenkopfgebäuden, die ebenfalls NS-Bauten sind, worauf Angela Koch, Medienwissenschafterin und Universitätsprofessorin für Medienästhetik an der Kunstuni hinweist: „Während der NS-Zeit sind nicht nur Repräsentationsbauten wie die Brückenkopfgebäude oder Wohnungen entstanden, sondern auch Bauten und Bauwerke, die der Infrastruktur bis heute dienen. Diese werden selten thematisiert, lassen sich häufig weder baulich noch funktional verändern und sind meist unhinterfragter Teil unseres Alltagslebens. Es ist daher umso wichtiger, ihre Bedeutung und Benennung zu diskutieren.“

Feministische Neuerzählung der Nibelungensaga

Inhalte der Ausstellung und Konzept wurden von Studierenden der Kunstuniversität und der Johannes Kepler Universität Linz vor allem im Rahmen des gemeinsamen Bachelorstudiums Kulturwissenschaften erarbeitet. Ergebnisse ihrer künstlerisch/wissenschaftlichen Forschungstätigkeit sind u. a. eine feministische Neuerzählung des Nibelungenmythos, unterschiedliche künstlerische und wissenschaftliche Dekonstruktionen des Motivs patriarchaler Heldenfiguren, eine umfassende Darstellung der Baugeschichte zur Brücke und Ergebnisse der Beforschung der Biografien von Linzer Bürger:innen, die im Zuge der Errichtung der Brücke ab 1938 und der dafür angeordneten städtebaulichen Maßnahmen enteignet wurden.

In Kooperation mit der Plattform „SOUNDING LINZ“ wurde die Brücke auch akustisch erfahrbar gemacht.

Die Ausstellungsgestaltung von Lena Heim und Rosalie Siegl greift fragmentarisch Elemente der Brücke auf, die durch eine Neuzusammensetzung entkontextualisiert, neu interpretiert und in Kombination mit Signalfarben inhaltlich gegenwärtig aufgeladen werden. Als Schriftbild werden Typografien der Sammlung „BADASS LIBRE FONTS BY WOMXN“ verwendet, eine Kollektion, die Sichtbarkeit für Schriftgestalterinnen schafft.

Partizipation erwünscht

Besonderen Stellenwert haben Begleitprogramm und der partizipative Charakter der Ausstellung. Neben Vermittlungsangeboten seitens der beteiligten Studierenden und Projektinitiatorinnen sind etwa Besucher:innen eingeladen, sich am Diskurs zu aktuellen Themenstellungen zu beteiligen. Das Äußern und Einbringen von Ideen, Wortschöpfungen, Anregungen, Kritik, Bildern etc. rund um den Begriff der „Brücke“ einerseits und speziell zur Thematik „Nibelungenbrücke“ ist ausdrücklich erwünscht. Tafeln, ein Gästebuch und Postkarten laden ein, sie als Medien der Teilhabe zu verwenden.

Erinnerungen, die innerhalb von Familien überliefert sind, Fotografien oder Objekte, die mit der Brücke und ihrer Errichtung in Zusammenhang stehen und zum Diskurs und zu neuen Erkenntnissen beitragen, sind sehr willkommen. Ebenso Ideen und Utopien, um an einem Entwurf für einen bewussten, gegenwärtigen Umgang mit Objekten wie der „Nibelungenbrücke“ mitzuwirken. Diese Beiträge können wiederum in die Diskussionsrunden einfließen, die unter Beteiligung internationaler Expert*innen stattfinden.

Eine weitere Möglichkeit der Beteiligung zur Diskussion um die „Nibelungenbrücke“ sind Plakate, mit denen Studierende und Lehrende der Kunstuniversität ihre Fragen, ihre Wünsche, ihre Utopien zur Brücke formulieren und öffentlich ausstellen können. Die  Ausstellung dieser Plakate in der Unterführung, die baulich in den Brückenkomplex integriert ist, wurde durch eine Kooperation mit der Firma Gutenberg-Werbering möglich. Die Plakate sind bis 1. Dezember zu sehen, sie werden möglicherweise überklebt, übermalt und mit Anmerkungen versehen – die Veränderungen täglich fotografisch dokumentiert.

Das Projekt stammt von Birgit Kirchmayr vom Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte an der Johannes Kepler Universität sowie Angela Koch und Wiltrud Hackl vom Institut für Medien an der Kunstuniversität Linz und Co.Lab für Erinnerungsarbeit • ästhetisch-politische Praktiken.

Beteiligte Studierende sind: Fabiola Benninger, Sophie Buchner, Thea Burkhard, Flora Goldmann, Stefanie Grasberger, Lena Himmelbauer, Julia Höglinger, Maria Keplinger, Thomas Obristhofer, Darina Scholz, Marina Sladojevic, Marina Weinzierl, Janice Wette, Paula Ursprung und Jasmin Ziermayr.

Diskussionen: 26. November, 18 Uhr, „Eine Torte für die Brücke“: Wiltrud Hackl von der Kunstuniversität Linz im Gespräch mit den Künstler:innen Anna Pech & Moritz Matschke;
3. Dezember, 18 Uhr, „Kontaminierte Objekte & Gebäude“: Angela Koch von der Kunstuniversität Linz im Gespräch mit Eva Meran vom Haus der Geschichte Österreich; 12. Dezember, 18 Uhr, „Nibelungsmythos und Nationalsozialismus“: Birgit Kirchmayr von der Johannes Kepler Universität Linz im Gespräch mit Robert Schöller von der Universität Fribourg/CH