Josef Hader kehrt in die Heimat zurück. Doppelt gleich, denn zum ersten Bild seines neuen Films „Andrea lässt sich scheiden“ erklingt die oberösterreichische Landeshymne, spielen wird die folgende Geschichte rund um eine Polizistin auf dem Sprung im niederösterreichischen Nirgendwo. Hader, geboren in Oberösterreich, aufgewachsen im niederösterreichischen Teil des Grenzgebiets.
Bei „Die wilde Maus“ – dem Vorgänger in Sachen Hader-Regie aus dem Jahr 2017 — ist es der nicht mehr junge Mann in der Bundeshauptstadt, der in der Krise ist. Nun ist es eine Frau, die dabei ist, ihre Heimat zu verlassen. Nach St. Pölten.
Andreas Krise ist recht vielfältig. Eigentlich ist sie eine toughe Polizistin, Chefin ihres Postens. Sie weiß, was sie erwartet, wenn sie ins Wirtshaus geht und alle wissen, dass sie sich von ihrem Mann Andi getrennt hat. Und sie weiß auch, wie zu reagieren ist, wenn ein Besoffener – wohl nicht zum ersten Mal – um Revanche bittet für jedes Mal, wenn er bei der Polizistin hat blasen müssen. Auch hier bleibt Andreas Gesicht teilnahmslos, auch, wenn sie ihm die Halbe zwischen die Beine schüttet. Es ist, wie’s ist hier.
Die Frauen haben es bei Hader am Land nicht leicht
Und hier, am Land, haben es die Frauen bei Hader nicht leicht. Wenn die Frau Auto fährt, trinkt der männliche Anhang schon einmal 12 Bier, Gin-Tonic ist grundsätzlich kein Alkohol und auch nach mehreren Stamperl Klaren traut sich die Testosteron-Fraktion noch sagen, sie habe eh nix getrunken.
Das ist die Prämisse, so ist es eben. Und deshalb muss Andrea auch ein unangenehmes Gespräch mit ihrem Noch-Ehemann führen, ihm den Autoschlüssel wegnehmen und sich beschimpfen lassen. Als sie ihn dann bei der nächtlichen Heimfahrt mit ihrem Wagen erwischt, ihn umfährt und nicht wiederbeleben kann, trifft sie diese eine Entscheidung, die sie nicht mehr loslassen wird. Sie steigt in ihren weißen Golf und fährt einfach davon.
Sie stopft sogar Kuchen in sich hinein, wenn ihr eigentlich zum Speiben ist
Josef Hader, der Regisseur, hat eine richtig gute Wahl getroffen, als er Birgit Minichmayr als Andrea besetzt hat. Denn man kann sich nicht viele Schauspielerinnen vorstellen, die es schaffen, den größten Teil ihres Spiels nach innen gekehrt auszutragen. Andrea lässt so viel über sich ergehen, so viel Blödsinn, den die Menschen reden und tun, so viel Gutgemeintes und so viel Hinterfotziges. Stets bleibt sie ruhig, stets benimmt sie sich „den Umständen entsprechend“, stopft sogar Kuchen in sich hinein, wenn ihr eigentlich zum Speiben ist.
Nur einer scheint an ihrer Fassade rütteln zu können, und das ist just jener Mann, der ihre Schuld zu übernehmen hat. Der Religionslehrer Franz Leitner, trockener Spiegelalkoholiker, in dessen Schulstunden die Schüler nur noch am Handy herumspielen, hat den mitten auf der Straße liegenden Andi übersehen, überfahren und ist jetzt in den Augen aller der Schuldige am Tod des Mannes. Nur Andrea weiß, was wirklich passiert ist und ihr Gewissen treibt sie an, dem Mann, der bereit ist, alles auf sich zu nehmen, den Rest seiner Zeit im Gefängnis zu verbringen und dafür schon den Koffer gepackt hat, zu helfen. Auf den Leib geschrieben hat sich Hader (als Co-Autor neben Florian Kloibhofer) diese Rolle, die er selbst übernimmt. Ein Moment, der alles über den Leitner sagt: Den Dichtungsring seiner Espresso-Kanne tauscht er nicht mehr aus. Das zahle sich nicht mehr aus, sagt er überzeugt.
Der entscheidende Punkt ihres bisherigen Lebens
Es entsteht eine zarte Zweisamkeit, der Fokus bleibt jedoch auf Andrea, die auch schon vor dem Unfall am entscheidenden Punkt ihres bisherigen Lebens stand.
Hervorragend besetzt — neben Minichmayr und Hader überzeugen in der tragisch komischen Geschichte auch Thomas Schubert, Maria Hofstätter und Robert Stadlober — erzählt „Andrea lässt sich scheiden“ viel übers Leben am Land, übers Abspringen und Hintersichlassen und schließlich über Chancen. Auch wenn schon die erste Szene, in der die Polizistin die leere Straße mit der Radarpistole überwachen und alles, was lange kommt, ein Traktor ist, auf einen Landkrimi hindeutet, bleibt die Krimihandlung im Hintergrund. Es ist vielmehr ein Sittenbild, das Josef Hader gezeichnet hat. Ein Sittenbild des Heimatlandes.
Von Mariella Moshammer