Die Alpen in Cinemascope oder, wie der Physiker Albert Einstein 1915 nicht ganz ohne Bosheit anmerkte, eine „Bergsteiger- und Touristensinfonie“. Bei ihrer Uraufführung mit der Dresdner Hofkapelle in Berlin waren die Meinungen von Kritikern und Publikum äußerst geteilt. Für viele war das Werk für ein Riesenorchester mit mehr als hundert Musikern bloß ein Naturbild ohne jegliche tiefere Bedeutung, für den Komponisten selbst bedeutete die sinfonische Bergbesteigung freilich eine ganz andere Dimension existenzieller und philosophischer Art.
Mit dem Linzer Bruckner Orchester unter der Leitung des Freiburger Dirigenten David Afkham durfte man sich nun an einer generösen, wildromantischen Interpretation der sinfonischen Gipfelbesteigung erfreuen. Afkham zählt aktuell zu den besten und gefragtesten Dirigenten seiner Generation und wie er das Bruckner Orchester die Alpen als Bergführer hinauf und hinunter geleitete, war mehr als sehens- und hörenswert.
Großartige Wanderung über einen Alpengipfel
Elegant und mit minimalistischen Gesten wurde hier zu Beginn ein musikalischer Sonnenaufgang nach der langen Nacht zelebriert, der bei Strauss als Gleichnis für das Urphänomen der ewigen Licht-Dunkel-Polarität steht. Afkham und die Musiker harmonierten in einer besonderen Weise, in der Art, wie er die einzelnen Solisten und Sektionen zu einer großartigen Wanderung über einen Gipfel der Alpen mit allen möglichen Facetten führte.
Imposant das gewaltige Blech nicht nur beim Sonnenaufgang, der hymnische Klang der Tuben, und natürlich auch der satte Streicherklang der jeweils ersten und zweiten Geigen sowie der zahlreichen Bratschen, Celli und acht Kontrabässe. In zweifacher Besetzung auch die Harfen und nicht zu vergessen das verdoppelte Schlagwerk und überhaupt die grandiose Perkussion im gigantischen finalen Gewitter, das Afkham mit dem Orchester zu einer spannungsgeladenen musikalischen Eruption ausarten ließ, ehe er die Hommage an die Heroik der Natur und des Menschen, ganz im Sinne von Richard Strauss, bogenförmig in einem musikalischen Fluss zum erlösten Ende führte. Das Ganze mit einer künstlerischen Virtuosität, die das begeisterte Publikum mit Ovationen im Stehen enthusiastisch und mit langem, frenetischem Applaus bejubelte.
Viel Beifall zuvor auch für den Auftritt des deutschen Baritons Matthias Goerne gemeinsam mit dem Bruckner Orchester in der ersten Hälfte des Konzertabends. Goerne, der als gefeierter Star für seine klassischen Opern- und Konzertdarbietungen bekannt ist, hatte diesmal ausschließlich Lieder von Hugo Wolf im Gepäck, die der Komponist mit Gedichten von Eduard Mörike und Johann Wolfgang von Goethe vertont hatte. Ähnlich wie Richard Strauss stieß auch Hugo Wolf mit seinen Werken bei Publikum und Kritikern zunächst auf Unverständnis, weil diese seine Kompositionen als neuartig und dissonanzenreich empfanden.
Wunderbar interpretiert
So kreiste der Liederabend um Themenschwerpunkte wie Schicksal, Schwermut und Tod, die Goerne mit seiner treffsicheren dunklen Stimme, teils kraftvoll und dann wieder verhalten wunderbar interpretierte, ausdrucksstark und voll emotionaler Tiefe wie etwa bei Goethes „Prometheus“ oder mit gedrosseltem Gefühlstempo bei Mörikes Landschaftsbetrachtung „Auf ein altes Bild“.
Alles in allem gab sich wieder einmal musikalische Weltklasse im Brucknerhaus ein Stelldichein, ein Abend der einen beglückt aus dem Konzertsaal entließ.
Von Barbara Duftschmid