Roboter, Menschen, die sich zu nicht hör- und sichtbarem Geschehen mit VR-Brillen durch den Raum bewegen, Klänge, deren Quellen nicht identifizierbar sind und gefühlt Tausende Bildschirme, von winzig bis riesengroß. Wer die Postcity am Linzer Hauptbahnhof dieser Tage betritt, wird — und das ist ein Versprechen — überwältigt sein. Mit dem Ars Electronica Festival hat dort erneut eine Welt Einzug gehalten, die trotz hochtechnologischem Hintergrund ein Wunderland par excellence ist.
Wie einst das Kaninchen, gilt es sich fallen zu lassen, Hunderte künstlerische Positionen aufzusaugen, die uns Möglichkeiten unseres Daseins auf diesem (und anderen) Planeten zeigen, die wir sonst vielleicht nie gewagt hätten, zu denken. Über allem thront das Festivalthema, die Frage „Wem gehört die Wahrheit?“. Ihr ist ein Bereich gewidmet, der im wohl spannendsten Teil des ehemaligen Postverteilzentrums, den Katakomben und dem Atombunker, untergebracht ist. Dort wartet die Schau „(Co)Owning More-than-Truth“ mit 35 künstlerischen Positionen.
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Angst vorm Umfang und der Technik, die hinter vielen der Arbeiten steckt, braucht man nicht haben, Führungen, Künstler vor Ort und die eigene Intuition helfen durch die Arbeiten, die hervorragend stimmig platziert sind und am Mittwoch von Festivalorganisatorin Christl Baur und Ars-Managing-Director Martin Honzik präsentiert wurden. Es ist der Marsch durch die vielen dunklen Gänge mit den Überbleibseln der Geschichte des Gebäudes bereits ein Erlebnis.
Jede Frage ein Verlust an Energie und Wasser
Maschinen und Natur — rund um dieses Themenfeld sind viele der Arbeiten angesiedelt. Im vertikalen Garten „Stella Verde“ von Gregor Krpic, Simon Gmainer und Jan Babic versorgt eine riesige Roboterspinne, angeleitet von Computercodes, die Pflanzen. Gegenseitig beeinflussen sich Roboter und Pilze im Projekt „ZOE“ von Noor Stenfert Kroese und Amir Bastan.
Auf die befürchtete Erwartung, dass die Menschen sicher nicht allzu schnell damit aufhören werden, die Umwelt zu zerstören — oder anders ausgedrückt: auf ihren Wohlstand verzichten — zielt der Titel von Michel Winterbergs Arbeit „Melting — the show must go on!“ ab. Ohne Algorithmen, sondern durch die natürlichen Prozesse des Gefrierens und Schmelzens von Wasser zeigt er, welche Unmengen an Energie, Wasser und Ressourcen Internetriesen verbrauchen, welchen Schaden jede einzelne Frage an ChatGPT und Co. anrichtet.
Kein ChatGPT braucht Agnes Meyer-Brandis. Sie hat Fragen gesammelt, sie handschriftlich festgehalten und sich daraus ihr eigenes Orakel gebaut. Speziell angefertigte Mini-Tröpfchen mit Polymerbeschichtung werden durch die dünnen, „handgeschriebenen“ Kanäle geschickt und entscheiden dann simpel und direkt: Ja oder Nein.
Antworten aus so vielen Perspektiven wie möglich
Dass so eindimensionale Antworten nicht das Ding der Ars Electronica sind, zeigt sich u.a. in der Gardens-Ausstellung von 30 Partnern aus aller Welt. „Unsere Frage nach der Wahrheit kann nicht nur von einer österreichischen, einer europäischen Perspektive aus beantwortet werden“, betont Bauer. Je mehr Perspektiven es gebe, desto besser wäre es.
Mimosen, die kleinen Sensibelchen der Pflanzenwelt, zeigen beim Projekt „Synplant“ früh an, wenn die nächste Katastrophe für uns Menschen ansteht. Und wie schon bei Alice in ihrem Wunderland beweist sich, dass das ganz Kleine ganz große Bedeutung bekommen kann.
Der offizielle Sprung in die Wunderwelt erfolgte gestern mit der Eröffnung der Ars Electronica und einem vermeintlichen Meister der Antworten: Wikipedia-Mitbegründer Jimmy Wales.
Von Mariella Moshammer