Seit Dirigent Cornelius Meister 2018 das ORF Radio-Symphonieorchester (RSO) in Richtung Stuttgart verlassen hat, um dort Generalmusikdirektor zu werden, war der 40-Jährige nicht mehr in Wien zu erleben. Trotz Corona klappt es 2020 nun aber noch, wenn auch knapp: Meister wird am 31. Dezember vor leerem Haus die Silvester-„Fledermaus“ in der Staatsoper dirigieren, die von ORF III ab 20.15 Uhr übertragen wird und ein Starensemble um Camilla Nylund, Regula Mühlemann und Peter Simonischek vereint.
Sie werden am 31. Dezember die Silvester-„Fledermaus“ aus der Wiener Staatsoper dirigieren — ohne Publikum, sondern nur für die Kameras. Wird das Ihre erste „Geistervorstellung“? Und haben Sie Angst davor?
CORNELIUS MEISTER: Als Oper wird es die erste sein. Aber immerhin hatte ich in diesem Jahr schon einige Vorstellungen, bei denen wegen der Beschränkungen wirklich nur sehr wenige Menschen im Publikum saßen. Mir ist es vor allem wichtig, dass jene Kulturliebhaberinnen und -liebhaber, die geradezu nach Kultur lechzen, sooft wie möglich etwas geboten bekommen. Das ist unsere Aufgabe. Da geht es mir nicht um unser persönliches Empfinden.
Ihnen blutet nicht das Herz, bei einem komödiantischen Stück wie der „Fledermaus“ auf die Publikumsreaktionen verzichten zu müssen?
Was wäre die Alternative? Das Nicht-Spielen. Und das wäre mit Sicherheit die schlechtere Alternative. Jetzt können wir immerhin sicherstellen, dass im Endeffekt sehr viel mehr Menschen als sonst die „Fledermaus“ aus Wien sehen können. Der Hunger nach Aufführungen ist schließlich auch im Fernsehen groß. Für dieses Silvester 2020 ist das die bestmögliche Variante.
Wie sehr müssen Sie Ihr Dirigat adaptieren, wenn Sie für die Lautsprecher daheim spielen?
Da gibt es ganz praktische Fragen, wie wir etwa die Übergänge gestalten, wenn es keinen Zwischenapplaus gibt. Aber der ORF wird einen großen Aufwand betreiben und nicht nur mit zwei Standkameras übertragen. (lacht). Da hilft mir durchaus meine achtjährige Erfahrung mit dem ORF Radio-Symphonieorchester.
Zugleich sind Sie derzeit erstmals an der Opera National de Paris für die Proben zur „Zauberflöte“, die am 12. Jänner Premiere feiern soll. Für wie sicher halten Sie diesen Termin?
Zumindest sind bis 22. Februar 15 Vorstellungen angesetzt. Vor allem sind wir natürlich auf die Proben angewiesen, damit wir bereit sind, wann auch immer die Premiere dann wirklich stattfinden kann. Ob das wirklich der 12. Jänner sein wird, sollen wir nach jetzigem Stand am 7. Jänner erfahren.
Wie sehr hat Corona und die Folgen Ihre persönlichen Pläne durcheinandergewirbelt?
Ich kann in dieser Hinsicht beide Seiten gut nachvollziehen — jene des Generalmusikdirektors, der permanent umplanen muss. Und jene des direkt Betroffenen, bei dem ständig Auftritte abgesagt oder verschoben wurden. Es war eine enorme Flexibilität, aber auch Solidarität gefordert. Wir haben uns etwa dagegen entschieden, die kommenden Spielzeiten, die ja schon vor Corona durchgeplant waren, bereits jetzt über den Haufen zu werfen. Das können wir dann gegebenenfalls auch noch im April machen — darin haben wir schließlich mittlerweile Übung.
Wie belastend ist das vergangene Jahr für Sie als Direktor gewesen, der trotz allem ein Team zusammenhalten muss?
Ich war durchaus dankbar, dass Stuttgart nach Heidelberg und Wien meine dritte leitende Position ist. Ohne diese Erfahrung wäre es vermutlich deutlich schwieriger gewesen. Dennoch werde ich das Ganze wohl erst in ein, zwei Jahren in Ruhe reflektieren können. Denn das vergangene Dreivierteljahr war letztlich ohne Pause davon geprägt, Vorbild zu sein, sich nicht hängen zu lassen. Es gilt natürlich immer auch, die Kolleginnen und Kollegen mitzunehmen, wobei ich auch sagen muss, dass man in Stuttgart niemanden motivieren musste. Aber der Organisationsaufwand war durchaus enorm.
Wie groß sind Ihre Bedenken in Hinsicht auf die Langzeitfolgen der Coronakrise für die Klassikszene?
Ich habe da sogar sehr große Befürchtungen. Den Freischaffenden geht es fraglos dreckig, aber auch den Musikverlagen, den Agenturen. Man kann vielleicht ein paar Monate überbrücken, aber nicht über einen so langen Zeitraum. Das gilt auch für Musiker. Wir haben jetzt in Stuttgart etwa seit Dezember einen ehemaligen Konzertmeister der Met in New York, der wie das gesamte Orchester auf der Straße saß.
Mit Dirigent CORNELIUS MEISTER sprach Martin Fichter-Wöß