Kaum jemand bekommt ihn je zu Gesicht, vielleicht ist es gerade das, was uns so viel Angst vor ihm macht. Freilich sind es aber auch Legenden und Märchen, die sich um ihn ranken, ganz abgesehen von seinen „Taten“.
Das Linzer Schlossmuseum widmet dem Wolf, der aktuell gerade wieder in aller Munde und in allen Medien, ja, geradezu ein Politikum ist, die Ausstellung „Vom Krafttier zum Angsttier? Kulturgeschichte des Wolfes“ (bis 1. September 2024).
Dabei werde nicht pro oder kontra Wolf entschieden, wie Kuratorin Mona Horncastle bei der Presseführung betonte. Jeder kann sich in der auch optisch ansprechend gestalteten Schau anhand der vielfältigen Objekte, die kunsthistorische und naturwissenschaftliche Aspekte beleuchten, selbst ein Bild machen.
Die Speisekarte von Isegrim in Originalgröße
Eine ausgestopfte Wolfsfamilie scheint herumzutollen, und auch der Speiseplan des Protagonisten wird als Präparat präsentiert. Dazwischen Grünzeug, denn davon braucht der Wolf ordentlich, um verdauen zu können. Er ernähre sich hauptsächlich von Schalenwild, kaum von Nutztieren, wie Horncastle erklärt, und: „Der Wolf jagt risikoarm, also eher kranke, schwache und junge Tiere.“
Gespeist haben wir also, wenden wir uns der Wolfsbetrachtung durch die Kunst zu: Zeitgenössisches etwa von Kiki Smith trifft im Schlossmuseum auf ältere Darstellungen von Alfred Kubin oder Franz von Zülow. Ein Berliner Fotokünstler hat sich im Wolfs- sprich Grenzgebiet zwischen Deutschland und Polen auf die Lauer gelegt, auf keiner seiner Nachtsicht-Aufnahmen ist ein Wolf zu entdecken.
Dass man ihn kaum zu Gesicht bekommt, mache den scheuen Wolf, der meist nur durch DNA-Spuren nachgewiesen werden könne, auch so faszinierend, sagt die Kuratorin. Eine Karte der Wolfssichtungen von Jänner bis Oktober 2023 in Ober- österreich belegt die Seltenheit solcher Begegnungen, Orte, die den Wolf im Namen oder im Wappen haben, wie Wolfsegg oder Steyr, dass man dort einst auf der Jagd nach ihm war.
Wie der Wolf zum Feind des Menschen wurde
Teilten sich Mensch und Wolf in der Steinzeit Lebensräume und Ressourcen, so änderte sich das mit dem Sesshaftwerden Ersterer: Der Wolf, für den Nutztiere leichte Beute waren, wurde böse.
Alte Wolfsfallen lassen umgekehrt die Grausamkeit der Verfolgung des Isegrim erahnen. „Das schlimmste war die Wolfsangel“, berichtet Horncastle. Ein Fleischstück, das an einem Widerhaken baumelte, der Wolf verendete nach dem Zubeißen langsam und qualvoll.
Die Legende von Romulus und Remus, der Gründung Roms, nach der eine Wölfin die beiden Buben säugte, ist eine der wenigen positiven Geschichten, die man mit dem Tier verbindet. Den Wolf im Schafspelz kennt man schon aus der Bibel, im Mittelalter schreibt man dem Wolf Charaktereigenschaften des Menschen zu: Tücke, Misstrauen und Gier. Und er gilt als Menschenfresser. Bei „Rotkäppchen“ kommt zur konkreten Gefahr ein fragwürdiger pädagogischer Anspruch hinzu.
Vom bösen Wolf ist es freilich nicht weit zum Werwolf, in den sich manche Menschen bei Vollmond verwandeln, und der einst in England ein Fabelwesen war und in Deutschland kleine Babys gefressen hat. Alte Stiche erzählen davon. Wie man ihn und Hexen foltert und umbringt steht schon in der ersten juristischen Literatur, was zeigt, wie Menschen am Rande der Gesellschaft ausgegrenzt wurden.
Eine geniale Arbeit in der Ausstellung stammt von VALIE EXPORT: „Der Wolf in uns“ (2020) setzt sich mit Ausschnitten von Wolfsgesichtern und hörbarem Geheul mit dem Gefährlichen und Wilden in uns Menschen auseinander. Deborah Sengls Installation „Von Schafen und Wölfen“ hinterfragt die biblische Metapher: Sie zeigt einen Wolf im Priestergewand, der mit gefalteten Händen (ja, Hände) da kniet.
Köstlich zwei Handpuppen, Kasperl und der böse Wolf, aus der Volkskundesammlung. Ein Gedicht von Christian Morgenstern erklingt aus einem Animationsfilm von Thomas Hering, in dem sich der Wolf als Schatten bewegt.
Und schließlich wird in der Ausstellung auch daran erinnert, dass der Hund, des Menschen treuester Begleiter, vom Wolf abstammt.
Von Melanie Wagenhofer