Bei den Bregenzer Festspielen, die seit dem 17. Juli wieder die österreichische Festspielszene schmücken, überraschen wieder Neuentdeckungen im Opernprogramm. Die einzigartige Atmosphäre des Bodensees mit der größten Opernbühne der Welt erfordert dafür jährlich Ideenreichtum und eine einfühlsame Repertoireauswahl.
Im Festspielhaus locken gewohnheitsmäßig Raritäten ein neugieriges Publikum an für Stücke, die sonst kaum irgendwo auf dem Spielplan stehen. Für ihr Abschiedsjahr hat die viel geschätzte Intendantin Elisabeth Sobotka noch einmal diesem Festivalcharakter mit besonderer Sorgfalt Rechnung getragen.
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Wer hätte erwartet, dass Carl Maria von Webers Oper „Der Freischütz“, erstmals auf der Seebühnen präsentiert, heuer wieder mehr als 6000 Besucher aus aller Welt begeistern würde und ausgerechnet eine Vorzugseignung für das wasserreiche Seespiel beweisen könnte? Und siehe da, die Aufführung wurde ein Volltreffer, obwohl ein starker Verfremdungseffekt die als Inbegriff der deutsch-romantischen Opernliteratur geltende Oper fast in das Format eines Sprechtheaters zwängte.
Aber Regisseur Philipp Stölzl mit seiner filmischen Ader und dem Produktionsteam wusste seine Absicht um sündteures Geld für die Ausstattung der Bühne überzeugend zu untermauern.
Traumhaftes Märchenbild
Ein winterlicher „Freischütz“ öffnet sich für den Betrachter, man befindet sich in einem armen, kriegszerstörten Dorf des Preisschützen Max, ein traumhaftes Märchenbild fesselt den Blick von beschädigten Häusern, in denen nur das brennende Licht aus den Fenstern Leben beweist, der Kirchturm mit Zeitangabe steht schief im Wasser, ein eigens vorne errichtetes riesiges Becken dient den Darstellern für ihre umfassende Spielkunst am Wasser im Wasser.
Das Volk spielt fröhlich mit unwahrscheinlicher Sicherheit, tanzt, singt und taucht auch unter, an showartigem Klamauk lässt es die Szenerie nicht fehlen. Oft ist es schwer, den roten Faden im entstellten Handlungsablauf zu finden. Weil vertraute Szenen, wie etwa die Wolfsschlucht, wo Max die Bleikugeln gießen soll, um des Oberförsters Tochter Agathe zu kriegen und in die Fänge des Teufels gerät, erst gesucht werden wollen.
Die Gespenster- und Gruselgeschichten, auf denen die dunkle Faustgeschichte beruht, erregen diesmal kaum Furcht, wenn auch Samiel ständig präsent seine Zauberkraft spielen lässt. Der Mythos vom Freischütz in Volkserzählungen und Sagen erlaubt freilich diverse Ausdeutungen. Man darf auch nicht vergessen, dass historische Werkbezüge beim komponierten Freischütz in der Zeit der Schauerromantik für eine Abkehr vom Geist der Aufklärung standen, in unmittelbarer Verbindung zu den Schrecken der napoleonischen Kriege.
Alles Musikalische hat höchstes Niveau
Gedanken über die Regie der Bregenzer Aufführung gäbe es genug. Aber auch positive Bemerkungen müssen zu ihrem Recht kommen, weil die Bregenzer Aufführung für alle eine riesige Herausforderung bedeutete. Die großartige Übertragungstechnik stand auf höchstem Niveau, so blieben die textlastigen Passagen staunend genau verständlich, die farbige Lichtregie sprach Bände, die bäuerlichen Kostüme (Gesine Völm) schienen eher milieugerecht und hielten nicht, was beabsichtigt wurde – nämlich das Werk in die Gegenwart zu holen.
Alles Musikalische hatte höchstes Niveau: am Pult der Wiener Symphoniker der in Bregenz bekannte Italospanier Enrique Mazzola und die durchwegs herausragenden Stimmen Mauro Peter als Max, Nikola Hillebrand als Agathe, Katharina Ruckgaber als Ännchen, Christof Fischesser als Kaspar, Moritz von Treuenfels als Samiel u.a. Aus dem Prager Philharmonischen Chor glänzten die Damen mit dem Gesang im populären Brautjungferntanz.
Die Textkürzung erwies sich vorteilhaft für die nur zweistündige Dauer der Aufführung in einer lauen Sommernacht. Verdienter Jubel für eine Bilderbuch-Aufführung zum Festivalstart.
Von Georgina Szeless