Choreografin Holzinger über Filmdebüt: „Es war easy going“

Florentina Holzinger spielte bei ihrem Filmdebüt die Hauptrolle © APA/Stadtkino/Rita Newman

Starchoreografin Florentina Holzinger hat zuletzt mit der Oper „Sancta“ für Aufsehen gesorgt. In Kurdwin Ayubs Spielfilm „Mond“, der bald bei der Viennale Österreichpremiere feiert und ab 31. Oktober im Kino zu sehen ist, wagt sich die 38-jährige Österreicherin nun ins Filmschauspielfach vor. Sie spielt in dem in Locarno ausgezeichneten Drama eine Kampfsportlehrerin, die in Jordanien die Töchter einer reichen Familie unterrichtet. Doch der Auftrag erweist sich als trügerisch.

Aus Anlass der Österreichpremiere auf der Viennale am Donnerstag (24. Oktober) sprach Holzinger mit der APA darüber, wie ihr „Blockbuster-Ego“ befriedigt werden könnte, weshalb Stunts das Lustigste sind und warum ihr Opernprojekt „Sancta“ definitiv kein „Kotzfest“ ist.

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APA: Hatten Sie schon länger vor, in einem Film mitzuspielen?

Florentina Holzinger: Nein, hatte ich nicht. Die Idee kam erst, als es mir Kurdwin angeboten hat. Sie hat mir das Drehbuch geschickt, und ich fand es spannend. Mir hat gefallen, dass es etwas Dunkles hat und mit Thrillerelementen umgeht. Da habe ich aber noch daran gezweifelt, ob ich das schauspielerische Potenzial in mir habe. (lacht) Aber davon hat Kurdwin mich dann sehr entspannt überzeugt. Ich habe es wahrscheinlich angenommen, weil es etwas komplett Neues für mich war.

APA: Kurdwin Ayub dürfte viel mit Improvisation arbeiten, gibt keine klaren Dialogzeilen vor. Liegt Ihnen das oder war das angesichts ihres Schauspieldebüts fordernd?

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Holzinger: Es hätte mich wohl eher überfordert, ein Skript auswendig zu lernen. Mir ist die Art und Weise, wie Kurdwin arbeitet, extrem entgegen gekommen. Es ist von meiner Arbeitspraxis nicht so fern. Kurdwin überfrachtet ihre Schauspielerinnen ungern mit Vorinfos. Sie will, dass es authentische Reaktionen gibt – so gut es eben geht. Deswegen haben wir auch fast chronologisch gedreht. Ich wusste nie viel über die Szenen, die wir am selben Tag gedreht haben. Ab einem gewissen Punkt hat sie sogar gesagt, ich solle das Drehbuch gar nicht mehr lesen, weil: „Jetzt wird alles so, wie ihr das halt macht’s“ (lacht). Ich habe ständig darauf gewartet, dass die Arbeit beginnt, dass es schwierig wird. Dieser Moment ist aber nie gekommen. Es war easy going, spannend und lustig.

APA: Ihre Figur Sarah ist als MMA-Kämpferin offenbar gescheitert, befindet sich auf dem absteigenden Ast als Trainerin. Sie dagegen sind eine der gegenwärtig gefeiertsten Choreografinnen im deutschsprachigen Raum. Fiel es Ihnen deswegen schwer, in die Figur Sarah hineinzufinden?

Holzinger: Subjektiv bin ich auch durch meine Arbeit viel ans Scheitern und an Kritik gewöhnt. Sarah ist eine Figur in einer prekären Lebenssituation. In irgendeiner Art kann ich mich da schon einfach hineinversetzen. Und das Kampfsportthema hat auch in einer Phase meines Lebens eine große Rolle gespielt. Ich war da schon sehr obsessiv unterwegs. Irgendwann habe ich mir überlegt, meine Künstlerinnenkarriere gegen eine Kampfsportkarriere einzutauschen. Aber mir hat die Kunst offensichtlich doch mehr Spaß gemacht. Deswegen war es cool, den Kampfsport fiktiv auszuleben und es hat sich schon recht nahe angefühlt.

APA: Der Film legt mehrere falsche Fährten, deutet auch so manche Actionsequenz an, in der Sie austeilen könnten. Hätten Sie gerne Ihre Kampfkünste unter Beweis gestellt, anstatt nur zu Beginn des Films verprügelt zu werden?

Holzinger: Für meine eigene Unterhaltung hätte ich das urgerne gemacht. Die Actionszenen haben mir am meisten Spaß gemacht (lacht). Aber ich habe natürlich verstanden, dass das nicht in diese Art von Film reinpasst und ich dafür einen Hollywoodschinken machen müsste, damit mein Blockbuster-Ego befriedigt werden kann (lacht).

APA: Wäre das tatsächlich für Sie denkbar? Überlegen Sie öfters für Filme vor der Kamera zu stehen?

Holzinger: Ich würde es schon wieder machen, aber ich bin in dem Bezug eine Diva. Es kommt extrem darauf an, was das für ein Projekt wäre. Ich habe einen gewissen Anspruch, und meine Agenda ist sehr tight. Ich nehme mich gerne verschiedener Genres an. Nachdem ich vom Tanz, ins Theater und in die Oper gesprungen bin, war der Schritt zum Film auch nicht so weit. Wahrscheinlich ist irgendwann die Fantasie da, selber einen Film zu machen.

APA: Gibt es dafür schon eine Idee, die in Ihnen heranreift?

Holzinger: Step by step.

APA: Was Film dann doch von so mancher anderen Kunstsparte unterscheidet, ist, dass bei Actionszenen gerne gedoubelt wird. Würden Sie sich je doubeln lassen, oder bestehen Sie darauf, Stunts selbst auszuführen?

Holzinger: Stunts sind das Lustigste. Aus Performerinnenperspektive verstehe ich nicht, warum man die Stunts nicht selber machen würde. Also da bin ich definitiv Tom Cruise (lacht).

APA: Der Film behandelt eine unangenehme Thematik, wirft viele Fragen auf und entlässt einen alles andere als entspannt. Sehen Sie hier Parallelen zu Ihrer Arbeit als Choreografin?

Holzinger: Wahrscheinlich schon. Bei Kurdwins Arbeit dreht sich viel um Identität. Auch die Geschlechterfrage ist ein wichtiger Aspekt und gewisse feministische Themen in Bezug darauf. Daher hat es mich auch interessiert. Als wir gedreht haben, habe ich gerade angefangen, an meiner Kirchenoper „Sancta“ zu arbeiten. Deshalb war ich extrem in die Welt der katholischen Kirche involviert und fand es sehr spannend, die Filmthemen im Nahen Osten, einer anderen kulturellen Welt, zu behandeln und zu sehen, wie Kurdwin sie in ihrer Arbeit reflektiert. Und dann ist Kurdwin natürlich eine Künstlerin, die dazu tendiert, Fragen zu stellen und sie nicht zu beantworten. Ich wertschätze sehr, dass sie Themen behandelt, die in der Mainstreamkinolandschaft nicht sehr stark repräsentiert sind.

APA: Erst kürzlich wurde bekannt, dass bei Aufführungen Ihrer Opernperformance „Sancta“ in der Stuttgarter Staatsoper mehrere Personen wegen Übelkeit betreut werden mussten. Sehen Sie sich manchmal reduziert auf die skandalträchtigen Aspekte Ihrer Arbeit?

Holzinger: In dem Ausmaß wie kürzlich ist es noch nie davor passiert. Dass wir gefundenes Fressen für die Klatschpresse und rechtsgerichtete Politik sind, ist eh klar. Aber in Stuttgart im Opernhaus wurde unsere Arbeit an sich auch extrem gefeiert. Das wurde offenbar von einer Person anders vermittelt, und dann haben alle abgeschrieben. In Stuttgart ging es den Leuten nicht schlechter, als es ihnen auch in Wien gegangen ist. „Sancta“ hat schon vor einem halben Jahr Premiere gefeiert, und plötzlich stellen sie die Arbeit hin, als ob es ein Kotzfest gewesen wäre – was definitiv nicht so war. In die Stuttgarter Oper passen 1.400 Leute. Es ist vollkommen normal, dass da nicht jeder sitzen bleibt. Noch dazu ist der Altersdurchschnitt in so einem konventionellen Opernhaus sehr hoch. Das führt auch dazu, dass Leute öfters mit Kreislaufschwierigkeiten zu tun haben. Die erste Person ist schon in der verbalen Einführung der Show umgekippt. Da kann ich doch nicht die Verantwortung dafür übernehmen.

Dieses Mal hat die Berichterstattung zu sehr vielen unangenehmen Folgeerscheinungen geführt. Ich und meine Performerinnen werden schon quasi verfolgt von Leuten, die sehr aggressiv und gewalttätig schreiben. Über so etwas kann man nur begrenzt lachen, weil es bewusst macht, dass es in der Welt viel Fanatismus und Fundamentalismus gibt. In unserer Oper gehen wir an sich sehr respektvoll und ernsthaft mit dem extrem komplexen Thema Religion um. Meine Motivation war nicht, der römisch-katholischen Kirche vor die Tür zu scheißen, sondern die Urwerte von Religion zu verhandeln und in gewisser Weise zu revalidieren. Deshalb macht es mich traurig, dass Leute es als Provokation auffassen.

APA: Wie geht es Ihnen und Ihrem Team mit den Gewaltandrohungen? Wirken sich diese auf Ihre Arbeit aus?

Holzinger: In Wirklichkeit bestärken sie mich nur darin, dass diese Arbeit extrem wichtig ist. Es handelt sich nicht um alte Themen. Diese Oper hat vor 103 Jahren Premiere gehabt und damals für einen Skandal gesorgt. Ich finde das schon sehr besorgniserregend, dass sich da offensichtlich nach 103 Jahren nichts verändert hat. Es sind meistens Männer, die uns schreiben und als Huren beschimpfen, die ja eigentlich darum betteln, auf der Bühne vergewaltigt zu werden, wenn sie solche Sachen machen. Insofern finde ich es sehr wichtig zu reflektieren und bewusst zu machen, dass das auch hier in Österreich gelebte Realität ist.

(Das Gespräch führte Lukas Wodicka/APA)