„Das Biest“: Liebe wird uns zerreißen

Bildgewaltiges Science-Fiction-Melodram © APA/Stadtkino Wien

In seinem bildgewaltigen Science-Fiction-Liebesdrama „Das Biest“ entwirft der französische Regisseur Bertrand Bonello mit seiner lockeren Adaption von Henry James‘ Schauerroman „Das Tier im Dschungel“ ein gespenstisches und genreübergreifendes Plädoyer für die menschliche Gefühlswelt. Vielleicht sein bisher bester Film, der einem die Luft aus den Lungen drückt. Ab Freitag (20. Dezember) im Kino.

Die konzeptionell kühnen Filme von Bertrand Bonello („Coma“, „Nocturama“) zeichnen sich oft durch den Wunsch aus, tiefsitzende Ängste zu verarbeiten. „Das Biest“ (nicht zu verwechseln mit Walerian Borowczyks Schmuddelfilm aus den Siebzigern) ist da keine Ausnahme. Es ist ein elegantes Historiendrama, ein kühler Thriller und eine verschachtelte Science-Fiction-Odyssee über nicht genommene Wege.

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Im leergefegten Paris des Jahres 2044 sind Emotionen unerwünscht. Die Gesellschaft wird von Künstlicher Intelligenz geleitet, also müssen sich all jene, die einen besseren Job haben wollen, ihrer Gefühle entledigen. Diese Prämisse ist nicht besonders originell, aber Bonellos Darstellung dieser verschachtelten Geschichte ist faszinierend und fordert selbst das aufmerksamste Publikum heraus.

Die wie immer wunderbare Léa Seydoux („Crimes of the Future“) spielt Gabrielle, die kurz davorsteht, sich einer „Reinigungsprozedur“ zu unterziehen, um ihre DNA von Traumata ihrer früheren Leben zu befreien. Ihre Erinnerungen inszeniert Bonello dabei so lebendig wie die Gegenwart. „Das Biest“ beginnt als Kostümfilm im Paris des Jahres 1910, kurz vor dem Seinehochwasser. Gabrielle ist mit einem Puppenhersteller verheiratet und begegnet dem schneidigen Louis (George MacKay in einer Rolle, die für den verstorbenen Gaspard Ulliel vorgesehen war) auf einem Bankett. Für die beiden fühlt es sich so an, als würden sie sich schon ewig kennen, aber sie gesteht ihm auch, dass sie Angst davor hat, dass sich ihr Schicksal „wie eine Bestie“ über sie stürzen wird. Zu spät erkennt sie, dass die Furcht vor diesem Schicksal selbst die Bestie ist.

Bonello ließ sich für seinen Film von Henry James 1903er Kurzgeschichte „Das Tier im Dschungel“ inspirieren, eine literarische Chronik über verpasste Chancen und ungelebte Leben. Er ist nicht der Einzige, der das im Jahr 2023 gemacht hat. Der in Wien geborene Patric Chica hat den gleichen Stoff verfilmt und in einer fiebertraumartigen Disco angesiedelt. Ein Mindfuck ist auch der Film von Bonello. Im dritten Kapitel von „Das Biest“, jetzt eine Art Home-Invasion-Thriller im Jahr 2014 in Los Angeles, ist Gabrielle ein einsames Model, während Louis zum wütenden Stalker gewandelt ist, der das Gefühl hat, von Frauen schlecht behandelt zu werden. Es endet wieder nicht mit einem Happy End.

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Der mitunter eher assoziativ strukturierte Film wird nicht für jeden und jede immer Sinn ergeben. Bonello will hier viel in 146 Minuten. Er spielt mit Zeit, Genre und Sehgewohnheiten. Er spielt mit Déjà-vus und seltsamen Omen. Im Jahr 1910 sind Puppen noch relativ ausdrucksloses Porzellan, im Jahr 2014 ein Chucky-ähnliches Spielzeug, und im Jahr 2044 sind sie fleischgewordene Halbroboter.

Stellenweise hat man das Gefühl, in einem Wachalbtraum von Michel Gondry oder David Lynch gelandet zu sein, aber „Das Biest“ ist Bonellos ganz eigene Kreatur. Er tut gut daran, die Frage nach der Liebe und der „Bestie“ zu verkomplizieren, indem er manchmal widersprüchliche Antworten gibt. Und wenn sein Film mit einem Schmerzensschrei endet, dann zeigt das Tier im Dschungel seine Fratze.