„Der Junge und der Reiher“: Alle Höhen und Tiefen des Seins

Der wahrscheinlich letzte Film des Anime-Altmeisters Hayao Miyazaki überzeugt mit Tiefe und Poesie

Der zwölfjährigen Mahito Maki kämpft in einer fantastischen Welt für sich und eine ganze Welt.
Der zwölfjährigen Mahito Maki kämpft in einer fantastischen Welt für sich und eine ganze Welt. © Polyfilm

„Der Junge und der Reiher“ des japanischen Anime-Altmeisters Hayao Miyazaki („Chihiros Reise ins Zauberland“) ist ein ganz intimer Film über Abschied, Trauer und das Suchen eines Weges, damit umzugehen.

Er ist auch eine große Erzählung über Schöpfung, Beginn und Ende eines Lebens, eines ganzen Universums, über alle Höhen und Tiefen des Seins. Gebettet ist „Der Junge und der Reiher“überbordend in Fantasie und Poesie, so dass das Unmögliche zueinanderfindet: tiefe Traurigkeit und erfüllende Freude, existenzielle Schwere und erheiternde Leichtigkeit.

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Es beginnt mit einem Inferno

Das Krankenhaus, in dem seine Mutter ist, brennt. Lichterloh schlagen die Flammen in die Höhe, als der zwölfjährige Mahito Maki gegen Ende des Zweiten Weltkrieges nachts aus dem Fenster sieht. Bomben haben das Gebäude getroffen, ein Inferno. Mahito kann nichts tun, er muss hilflos erleben, wie seine Mutter stirbt, sein Vater mit deren jüngerer Schwester zusammenfindet, und er selbst in einer neuen Umgebung fernab des heimatlichen Tokio zurechtkommen muss.

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Der 83-jährige Miyazaki, der einst das legendäre Animationsstudio Ghibli mitbegründete, musste, 1941 in Tokio geboren, selbst vor US-amerikanischen Bombardements fliehen. Das wahrscheinlich letzte Werk des Japaners trägt klar autobiografische Züge.

Auf der anderen Seite …

In bewährter Miyazaki-Weise flieht der junge Mahito in „Der Junge und der Reiher“ aus seiner misslichen Lage in eine andere Ebene seines Seins, aufgestachelt dazu wird er von einem Reiher, der ihm dort seine noch lebende Mutter verspricht. Auf der anderen Seite muss Mahito sich jedoch auf die Suche nach seiner Stiefmutter Natsuko begeben.

Dabei begegnet er nicht nur seiner leiblichen Mutter als Kind, sondern auch vielen skurrilsten Figuren wie etwa einem androgynen Fischer, dessen Töten niedlichen weißen Seelenblasen, die später Menschen werden sollen, das Fliegen und somit ihr Leben ermöglicht. Dazu kommen Dienerinnen im Spielzeugformat und verfressene Sittiche. Wie immer bei Miyazaki ist die Symbolik überbordend und kaum in ihrer Fülle zu fassen. Doch sich in diese Fantasie fallen zu lassen, ist auch diesmal nicht schwer.

Ebene für Ebene lässt der Film einen tief in diese Geschichte hineinsteigen, bis zu dem Punkt, wo eine ganze Welt bis zum Anschlag instabil wird und in den Händen eines alten Mannes liegt. Alleine Mahitos Reaktion darauf ist es Wert, sich auf alle Höhen und Tiefen von „Der Junge und der Reiher“ einzulassen.

Von Mariella Moshammer