So groß, wie viele seine Bilder sind, so großartig sind sie auch. Mit Yan Pei-Ming holt Landes-Kultur-Chef Alfred Weidinger einen der bedeutendsten zeitgenössischen Maler und Dokumentator der Geschichte ins Linzer Francisco Carolinum, den „letzten Historienmaler“, wie er ihn nennt.
Im tageslichtdurchfluteten zweiten Stock des Museums hat sich die beeindruckende Ausstellung, die, so auch der Titel der Ausstellung, „Portraits“ (bis 13.8.) des gebürtigen Chinesen zeigt, einen Besucheransturm verdient.
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Ein Geschichtsbuch tut sich auf in Form einer Serie an Porträts, die eine riesige Wand im ersten Raum füllen. Von Hitler über Charles III., Wolodymyr Selenskyj bis Karl Nehammer.
Der Künstler reflektiert Geschichte, stellt sie in einen Kontext, wenn neben Hitler das Bild von Heinrich Posse hängt, den der Führer einst als Sonderbeauftragten für das geplante Führermuseum eingesetzt hat, oder neben den Bildern von Kaiser Franz Joseph I. und dessen Gattin Sisis Mörder.
„Gute und böse Menschen, die die Weltgeschichte verändert haben“, so Weidinger. Eine Reihe, der Pei-Ming immer wieder Köpfe hinzufügt, monochrom in Grautönen und mit breitem Pinselstrich — typisch für den Künstler — und relativ kleinformatig — untypisch für ihn.
Selbsterforschung
Weltberühmt ist Pei-Ming nämlich für monumentale Formate (die größten bis zu zehn Meter hoch), wie sie ebenfalls zu sehen sind, etwa eindringliche Selbstporträts, die mit nur wenigen Veränderungen verschiedene Stimmungen transportieren, im Francisco Carolinum perfekt ausgeleuchtet. „Er reflektiert stets das eigene Leben und seine Erfahrungen“, so Weidinger.
Yan Pei-Ming (Jg. 1960) wuchs in Schanghai in ärmlichen Verhältnissen auf. „Zwölf Personen lebten auf kleinstem Raum. Er nahm einen Spiegel und fing an, sich selbst zu malen“, so Weidinger. Aus politischen Gründen an Ausbildungsstätten abgelehnt, fasste er den Entschluss, sich alleine nach Europa durchzukämpfen, fand im französischen Dijon eine neue Heimat und besuchte eine Kunstschule.
„Ein stiller Kampf und einer der kontemplativsten Künstler, die ich kenne, und ein manischer Maler, der oft 24 Stunden im Atelier verbringt“, so Weidinger. In Europa entdeckte Pei-Ming in den großen Museen die berühmten Historienmaler. Was ihn in seinen starken Porträts von diesen abhebt, ist eben die reduzierte Farbgebung, die er nur selten durchbricht.
Etwa in Aquarellen, die von japanischen Soldaten während des Zweiten Weltkrieges vergewaltigte Frauen zeigen. Oder in Gemälden von Mao oder Päpsten — mächtige Männer, ein Thema der klassischen Malerei, Pei-Ming stößt in seinen Darstellungen die Frage der Macht an. Die Kunstwelt hat ihn Anfang der 1990er-Jahre entdeckt, heute ist er ein internationaler Star, Arbeiten von ihm wurden u. a. im Louvre gezeigt, wo man ihn mit einer Auseinandersetzung mit der „Mona Lisa“ beauftragte, oder im Wiener Belvedere.
Zum Bewegendsten in der Schau zählen wohl die drei intimen, großformatigen Porträts, die Pei-Ming von seiner geliebten Mutter mit kräftigen, perfekt sitzenden Pinselstrichen angefertigt hat. Intim auch der Akt der Entstehung, bei dem der Künstler die Anwesenheit anderer Menschen ablehnt.
Krieg und Tod
Die Köpfe von amerikanischen Soldaten, die er keiner bestimmten Zeit zuordnet, und deren Porträts er den Titel „Life Souvenir“ gab, sollen jenen Moment abbilden, an dem die Familien von deren Ableben erfahren, Abschied nehmen müssen und den Wunsch nach Frieden.
Letzterer ist auch an anderer Stelle Thema, wenn er eine Schlachtszene aus dem Libyen-Krieg mit dem Porträt eines verzweifelt nach Hilfe rufenden Buben in einem aufwühlenden Diptychon vereint oder den letzten Atemzug von Gaddafi festhält. „Wir waren noch nie so nahe an einem Krieg wie jetzt“, sagt Pei-Ming. Bleibt zu wünschen, dass ein Dritter Weltkrieg niemals ein mögliches Motiv wird.
Von Melanie Wagenhofer