„Der Prozess“: Ein von Einem-Double als Kafkas K.

Das Kafka-Gedenkjahr zum 100. Todestag des Meisters der Symbolhaftigkeit befindet sich in der Endrunde – und in der Wiener Kammeroper machte man zum Abschluss den „Prozess“. Im Musiktheater an der Wien kann Intendant Stefan Herheim aufgrund der baulichen Verzögerungen noch nicht inszenieren, in der Dependance jedoch ließ er am Donnerstag gemeinsam mit der Neuen Oper Wien Gottfried von Einems Oper wiederaufleben – Komponistenklon inklusive.

Schließlich war es der Tonsetzer, der 1953 in Salzburg Kafkas Roman „Der Prozess“ über die für ihn selbst unerklärliche Verhaftung des Josef K. zur Uraufführung brachte. Und so grüßt bereits am Anfang ein Salzburg-Panorama von der Bühne der Kammeroper, bevor sich Josef K. als Von-Einem-Doppelgänger dem Gericht stellen muss. Der Kampf der Kafka-Figur gegen die Windmühlen der Bürokratie und ein System, dessen Regeln sie nicht durchschaut, werden hier mit den Kämpfen gleichgesetzt, die der Komponist einst mit dem Salzburger Festspiel-Kuratorium ausfocht.

Betonung der humorvollen Seite

Und doch kommt die Herheim-Interpretation mit Robert Murray als dem Alter Ego des Werkschöpfers längst nicht so bierernst daher, wie das Konzept vordergründig klingen mag. Der 54-Jährige gestaltet den Abend humorvoll, betont weniger die dunkle Seite als die Absurdität des Werks. Dabei schreckt er mit seinem spielfreudigen Ensemble trotz grassierender Krankheitswelle während der Proben auch nicht vor clownesken Elementen zurück.

Die Figuren spielen über weite Strecken im Pyjama, das Bett dient in verschiedenster Funktion als Hauptschauplatz des Geschehens. Das umfasst auch den Umstand, dass Herheim nicht davor zurückschreckt, die erotischen Szenen des Textes, dessen Dialoge von Einem weitgehend übernommen hat, explizit auszuarbeiten – bis hin zu sadomasochistischen Anklängen in der Prügler-Szene.

Hohe Textverständlichkeit der Partitur

Freizügig mit dem Stoff zeigte sich auch Walter Kobéra als Chef der Neuen Oper Wien am Pult, der die Kammerfassung des Werks mit seiner Verquickung von Tanzmusik mit starken Rhythmen auskostete. Die Sänger agieren dabei im Deklamationsstil beinahe parallel zur Orchesterpartitur, was eine hohe Textverständlichkeit der Kafka-Vorlage und damit die direkte Ansprache des Publikums ermöglicht. In dessen Reihen hat sich am Ende auch die gescheiterte Hauptfigur zurückgezogen. Der Josef K. sind schließlich wir alle.

(Von Martin Fichter-Wöß/APA)

„Der Prozess“ von Gottfried von Einem nach Franz Kafka in der Kammeroper, Fleischmarkt 24, 1010 Wien. Musikalische Leitung der Klangforum Wien PPCM Academy: Walter Kobéra, Inszenierung: Stefan Herheim, Bühne: Silke Bauer, Kostüm: Nina Paireder. Mit Josef K. – Robert Murray, Die Frau – Anne-Fleur Werner, Franz/Fabrikant/Geistlicher – Alexander Grassauer, Willem/Advokat – Timothy Connor, Aufseher/Kanzleidirektor – Leo Mignonneau, Student/Titorelli/ 1. Junger Mann – Valentino Blasina, Gerichtsdiener/Passant/ 2. Junger Mann – Lukas Karzel, Untersuchungsrichter/Onkel Albert/3. Junger Mann – Philipp Schöllhorn, Kafka – Fabian Tobias Huster. Weitere Aufführungen am 7., 9., 12., 14., 17., 20. und 22. Dezember. theater-wien.at

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