Das 2. Konzert im Großen Abo des Linzer Brucknerhauses stellte am Freitag das zahlreich erschienene Publikum zunächst vor ein Rätsel: Was haben die Komponisten Béla Kéler und Benjamin Godard mit Anton Bruckner zu tun, außer dass sie Zeitgenossen waren? Die Lösung: Es ging nicht um musikalische Verwandtschaften, sondern um den persönlichen Zugang der drei Komponisten zum Begriff des „Romantischen“, der unterschiedlicher nicht sein konnte.
Mit Paprika und Pfeffer
Zu Beginn spielte das „Originalklang“-Ensemble Concerto Köln unter der hellsichtig-impulsiven Leitung seines Ehrendirigenten Kent Nagano die „Ouverture romantique“ Kélers aus dem Jahr 1872: Eine gehobene Unterhaltungsmusik, die sich nicht nur zeitlich in die Nachbarschaft der Strauss-Familie stellen könnte; zu dieser grenzt sie freilich scharf konturierte Dynamik gleichsam mit einer Portion Paprika und Pfeffer als fast klischeehaft ungarisch ab.
Blühende Melodik
Ganz anders das „Concerto romantique“ für Violine und Orchester von Godard: Blühende Melodik in allen Sätzen, gepaart mit etlichen virtuosen Herausforderungen, die Solist Shunske Sato hervorragend bewältigte. Erstaunlich allerdings der – in Zeiten eines Gabriel Faure und jungen Claude Debussy – rückwärts gewandte, an Idolen der Romantik wie Mendelssohn und Schumann orientierte Kompositionsstil. Den jubelnden Beifall quittierte Sato mit einer flotten Wiedergabe der „Bourree“ aus J.S. Bachs 1. Partita für Solovioline, die abermals einen Begeisterungssturm auslöste.
Brucknerscher „Rohdiamant“
Den Höhepunkt des Abends bildete aber die Urfassung von Anton Bruckners 4. Sinfonie in Es-Dur, die der Komponist selbst mehrfach als „Die Romantische“ bezeichnet hat. Wer von den „populären“ Klängen der 3. Fassung dieser Sinfonie verwöhnt ist, staunte nicht schlecht über diesen Brucknerschen „Rohdiamanten“, der nicht nur dem Publikum, sondern auch den versierten Ausführenden fast alles abverlangte.
Die Sinfonie, deren Scherzo und Finale in der Endfassung vom Autor später faktisch neu formuliert wurde, strotzt von Experimentierfreude (scheinbare Irrwege und Sackgassen inklusive) des nicht nur damals stark in der Wiener Kritik stehenden Bruckner.
Trotz aller Seltsamkeiten der Partitur formten Kent Nagano mit seiner sparsamen, aber überaus effizienten Gestik und das glänzend mit alten Instrumenten aufspielende Orchester daraus ein faszinierendes und immer wieder überraschendes musikalisches Erlebnis. Minutenlanger Schluss-Applaus!
Von Paul Stepanek