Die Viennale enthüllt kurz vor Festivalstart ihr Programm

Algen angesetzt hat die Viennale nicht – auch wenn das heurige Plakatsujet des Filmfestivals mit einer der Meerespflanzen anderes vermuten lässt. Direktorin Eva Sangiorgi präsentierte jedenfalls am Dienstagabend ein Programm für die am 17. Oktober startenden Filmfestspiele, das wieder von großen Debattenbeiträgen, kleinen Skurrilitäten und einigen Leinwandknallern geprägt ist.

„Wir halten das aus, dass wir in Zeiten leben, in der Krisen en permanent sind“, beruhigte Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) als Kulturstadträtin die Anwesenden. Als Rüstzeug hierfür spiele das Kino in seiner haptischen Präsenz eine nicht zu unterschätzende Rolle: „Die Verführungsangebote in Richtung Depression sind momentan in Permanenz vorhanden. Und das beste Gegenmittel ist, zusammenzukommen.“

Die großen Fragen der Welt spielen auch im Viennale-Programm eine Rolle. „Es gibt viele Filme, die die internationalen Krisen adressieren“, machte Sangiorgi deutlich. Das betrifft sowohl Arbeiten, die sich dem russischen Angriff auf die Ukraine widmen wie Filme, die eher zur Reflexion über den Nahostkonflikt anregen wie „A Fidai Film“ von Kamal Aljafari, der von einem Regiekollektiv realisierte „No Other Land“ oder Lawrence Abu Hamdans „The Diary of a Sky“. Andere Werke rücken etwa den Umgang mit dem Tier respektive der Umwelt ins Zentrum.

Nebst der politischen Debatte sind aber auch die großen Gewinner der abgelaufenen Festspielsaison eine jener Säulen, die das Viennale-Dach tragen. So ist Sean Bakers Tragikomödie „Anora“, Gewinner der Goldenen Palme in Cannes, ebenso zu sehen wie das historische Schwarz-Weiß-Essay „Grand Tour“ von Miguel Gomes, der in Cannes mit dem Regiepreis bedacht wurde. Die Rückgabe kolonialer Raubkunst rückt indes Regisseurin Mati Diop mit ihrem Dokumentarfilm „Dahomey“ in den Fokus, der als Abschlussfilm des Festivals fungiert und zuvor bei der Berlinale mit dem Goldenen Bären bedacht wurde.

Ebenfalls Berlinale-gekrönt ist Sebastian Stan, der für seine Leistung in Aaron Schimbergs ebenfalls zu sehendem „A Different Man“ als Schauspieler mit Gesichtsentstellung den Darstellerpreis erhielt. Gleich vier (in Cannes) ausgezeichnete Darstellerinnen sind in Jacques Audiards queerem Musical „Emilia Pérez“ über eine transsexuelle Drogenclanchefin zu sehen. Noch ohne nennenswerte Festivalehren, aber ebenfalls ein Musical ist hingegen das Spielfilmdebüt von Joshua Oppenheimer, „The End“, in dem Tilda Swinton und Michael Shannon eine Familie in der Endzeit spielen.

Der heurige Venedig-Löwen-Gewinner „The Room Next Door“, das erste englischsprachige Projekt von Altmeister Pedro Almodóvar, ist ebenso in Wien zu erleben wie Hollywoodstar Jesse Eisenberg im Doppelpack. Zum einen ist sein Regieprojekt „A Real Pain“ über zwei Cousins (einer davon gespielt von Eisenberg selbst) auf den Spuren ihrer im Holocaust vertriebenen Großmutter zu sehen. Zum anderen ist der 41-Jährige als Big Foot im etwas skurrilen Naturidyll „Sasquatch Sunset“ hinter Latexschichten zu erleben.

Nicht zuletzt kommt heuer aber auch das österreichische Filmschaffen zu Ehren. Angeführt wird die rot-weiß-rote Fraktion von Kurdwin Ayubs zweitem Film „Mond“, der in Locarno mit dem Großen Jurypreis gewürdigt wurde, wofür nicht zuletzt die Leinwandpräsenz von Performanceikone Florentina Holzinger gesorgt haben dürfte. Auch der erste Langfilm des Wiener Regisseurs Mo Harawe, „The Village Next to Paradise“, findet sich im Programm. Ein Heimspiel hat gewissermaßen der einstige Viennale-Chef Alexander Horwath, dessen Dokuessay „Henry Fonda for President“ ebenso gezeigt wird wie Bernhard Wengers „Pfau“ nach dessen Venedig-Premiere. Und Thomas Woschitz kann seine in den USA gedrehte Produktion „The Million Dollar Bet“ zeigen, die von der Wette zweier Kumpel handelt, dass einer von beiden in 24 Stunden 70 Meilen läuft.

Nicht 24, aber immerhin 14 Stunden ist die Laufzeit des Dokumentarexzesses „Exergue – On documenta 14“, für den Regisseur Dimitris Athiridis den documenta-Kurator Adam Szymczyk bei der Vorbereitung der Weltkunstschau für das Jahr 2017 begleitet hat. Die Viennale verpackt das Mammutwerk bei der Projektion in verdaulichere drei respektive bei der Wiederholung in zwei Teile. Am anderen Ende des Längenspektrums finden sich die Kurzfilme, die heuer in sieben Programme gepackt sind.

Abseits des aktuellen Filmgeschehens gibt die Viennale traditionell auch cineastischen Schmuckstücken der Vergangenheit die richtige Fassung. So ist eine Monografie der widerständigen Arbeit des mexikanischen Kollektivs Los Ingrávidos gewidmet, eine andere dem Œuvre der brasilianischen Filmemacherin Juliana Rojas, die persönlich nach Wien kommen wird. Die Schienen „Kinematografie“ bringen hingegen eine genremäßig überaus bunte Rückschau auf die Darstellung der japanischen Kolonialzeit im koreanischen Kino sowie unter dem Titel „Out of the Spotlight“ eine Retrospektive auf die Karriere der österreichischen Schauspielerin Helene Thimig, die erst im US-Exil begann.

Apropos Retrospektive. Die heurige findet wieder im Österreichischen Filmmuseum statt und ist bis 28. November dem Schaffen von Robert Kramer vorbehalten. Der 1999 verstorbene US-Regisseur und politische Aktivist befasste sich leidenschaftlich mit gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und politischen Protesten seiner Zeit. „Jeder Film von Robert Kramer ist wie ein Lied von Bob Dylan“, unterstrich Filmmuseumsdirektor Michael Loebenstein am Abend. Dazu veröffentlicht man in Zusammenarbeit mit Synema die Publikation „Starting Places. A Conversation with Robert Kramer“ von Bernard Eisenschitz.

Auch aufseiten der Viennale setzt man auf das Buch. So wird die Schriftenreihe „Textur“ fortgesetzt. Deren siebenter Band ist dem Filmemacher Roberto Minervini gewidmet, der 2018 beim Festival gewürdigt wurde. Heuer findet sich sein neuestes Werk „The Damned“ über den amerikanischen Bürgerkrieg im Viennale-Programm.

Als neues Festivalzentrum dient heuer das Metro Kinokulturhaus. Unter dem Titel „Zentralino“ besetzt man den 2. Stock des historischen Baus in der Innenstadt. Dieser dient bei freiem Eintritt als getränkebietender Treffpunkt, um moderierte Gespräche, Diskussionsrunden oder Meisterklassen zu veranstalten. Noch einmal ganz anders abgehen soll es indes bei den drei Viennale-Partys, die in den drei einschlägigen Locations Opera Club, Praterstraße und Flex angesetzt sind. Während im Opera Club verschiedene Filmemacher an den Turntables stehen, legt im Praterstraße wieder Schauspielstar Lars Eidinger auf.

Äußerst variabel lässt sich mithin die bis 29. Oktober dauernde Viennale gestalten, deren Vorverkauf am 12. Oktober startet. Am letzten Tag ist dann die traditionelle Abschlussgala im Gartenbaukino angesetzt, an der auch wieder die Preise des Festivals verliehen werden. Und dann beginnt wieder das Warten auf den nächsten Filmreigen.

viennale.at

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