Der Fischer heißt Fritz (Fri), wie schon sein Vater und Großvater, die auch schon Fischer waren. Nach einem Hirnschlag kann er keine frischen Fische mehr fischen.
In seinem Zustand fällt er seiner Familie nur noch zur Last. Sohn Franz (Fra), lernte nicht Fischerei, sondern Friseur. Lebenslänglich kreidet der Vater ihm das an. Fra meint, das Beste für Fri sei ein Pflegeheim, organisiert ihm aber dann doch eine junge Pflegerin aus Polen.
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Glücksfall im Ensemble
Frisch vom Reinhardt Seminar wurde Nele Christoph engagiert. Als Pjotra (P) verkörpert sie die personifizierte junge Energie vor dem Hintergrund Pflegedesaster und Ausbeutung. Der neue Glücksfall im Ensemble beginnt mit einem virtuosen „Fischers Fritz“-Zungenbrechermonolog, mündet in einen weiteren Schwall aus Wörtern, die mit B wie betroffen beginnen. Als sie sanft ein Schlummerlied ansingt, bleibt auch eine Ahnung vom Potenzial ihrer Gesangsstimme. Auch medizinische Fachausdrücke eignen sich für sprachakrobatischen Spitzensport innerhalb der Tristesse eines alltäglichen Schicksals. Es geht um den Verlauf eines üblichen Ablebens, fast beiläufig, zugleich so einzigartig und ergreifend wie jeder Tod.
Der Alte erzählt in der dritten Person von sich. Dem Zuschauer wird klar, warum er verstummt. Man versteht seinen Zorn und dass er ausrastet. Für die anderen macht ihn das zum unberechenbaren Grantscherm.
P. versucht ihr Bestes im dreckigen Zimmer ihres ungehaltenen Auftraggebers. Die Zeit ist für beide so schwer totzuschlagen wie die Fliegen im Zimmer. Auch sie spricht von sich in der dritten Person. In inneren Dialogen gehen sie aufeinander ein, nach außen agieren sie völlig aneinander vorbei. Ihre Körper spielen Realität, stumm und abwehrend.
Gefühle bleiben in der Inszenierung ausschließlich dem Publikum überlassen. Die Menschen auf der Bühne haben mit sich selbst zu tun, mit nichts Geringerem als Leiden, Sterben, Überleben und dazwischen über die Runden kommen.
Mit dem Busfahrer, der sie, eingeklemmt zwischen Kolleginnen, an ihren Arbeitsplatz gebracht hat, entwickelt sich ein heftiger, vor Emojis strotzender Chat. Der völlig übermüdeten Rund-um-die-Uhr-Pflegerin taumelt er plötzlich als Astronaut aus einer fernen Galaxis ans Bett.
Auf der Bühne treiben Fische bäuchlings oben. Der Alte büchst aus. Irgendwo stürzt er. Ein paar Tage später stirbt er im Krankenhaus. Der Sohn erinnert sich an gute Zeiten, zu spät, ihm das zu sagen. P. geht nicht zum Begräbnis, der Bus holt sie schon ab, Fahrer ist ihr Astronaut. Die ferne Galaxie könnte schon dort liegen.
Der große Lutz Zeidler lebt den Alten. Auch wenn er fast verstummt ist, füllt sein Innenleben den Raum viele Generationen zurück und in eine Zukunft, die allen bevorsteht. Friseur Sohn Fri (Daniel Klausner) personifiziert den Generationenkonflikt. Tradition, Familiensinn und anerzogener Anstand überragen seinen Widerwillen, das forsche Auftreten übertüncht Zweifel, unausgesprochen weiß man, dass nach dem Tod des Vaters alles anders wird.
Die kongeniale Bühne von Patrick Bannwart erscheint so normal wie die Handlung, feine Details würdigen den individuellen Wahnsinn.
Regisseur David Bösch (Jg. 1978), einer der angesagtesten seiner Generation, gelingt mit „Fischer Fritz“ eine stille, große Inszenierung. Sprachlich braucht sie weder Akzent noch Dialekt, draußen bleiben auch Pathos oder Wehleidigkeit. Alle Betroffenheit, die Thematik und Stück in sich tragen, tun der Lebenslust keinen Abbruch und zur Unausweichlichkeit kommt die Zuversicht. Was für ein Glück, diese Künstler in Linz zu wissen. Am Applaus gemessen, war das Publikum auch der Meinung.