Dunkle Spielzeug-Romantik im Landestheater Linz

Premiere: Roland Schimmelpfennigs Stück für Leute ab 6 in der Studiobühne

Die Welt da draußen hat leider einige ungute Überraschungen parat: Zinnsoldat (Wenzel Brücher) und Papiertänzerin (Gemma Vannuzzi)
Die Welt da draußen hat leider einige ungute Überraschungen parat: Zinnsoldat (Wenzel Brücher) und Papiertänzerin (Gemma Vannuzzi) © Christian Brunnader

Der Machismo unausrottbar, so ist das realistisch: Der Zinnsoldat stellt sich mit rauer Angeberstimme vor, viel hat er erlebt, ein Bein hat er verloren. Er belächelt die empfindsame Papiertänzerin, ein bisserl verliebt ist er auch. Starrt die Tänzerin eine Nacht lang an (er ist ja unbeweglich), wird dafür vom Kobold in der Kiste angepöbelt.

Ein neuer Morgen, Zinnsoldat und Papiertänzerin fallen vom Fensterbrett ins Freie. Nein, er fällt, knallt auf´s Pflaster. Sie wirbelt der Wind in die Höhe, in den blauen Himmel, in eine Wolke. Nächste Pöbelei, die Wolke schnauzt sie an. Eine Tänzerin, die fliegt? „Hau ab!“

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Kleine Sadisten

„Der Zinnsoldat und die Papiertänzerin“ in der Inszenierung von Lukas T. Goldbach nimmt Kinder und ihre Ängste erfreulich ernst. Die Figuren kämpfen nicht bloß mit Problemchen, sondern sind existenziellen Bedrohungen ausgesetzt. Erfahren Hohn und Spott, treffen auf Ignoranz und Bösartigkeit. Und auch diese unangenehme Wahrheit: Kinder sind nicht nur lieb, sondern gelegentlich fiese kleine Sadisten.

Premiere von „Der Zinnsoldat und die Papiertänzerin“ war am Freitag in der Studiobühne des Linzer Landestheaters. Autor Roland Schimmelpfennig, meist gespielter Gegenwartsdramatiker deutscher Zunge, knüpft in dem Stück für Leute ab 6 an die Tradition dunkler Romantik durch Hans Christian Andersen an. Doch Schimmelpfennig arbeitet Andersens „Der standhafte Zinnsoldat“ von 1838 auch mehrfach um, wandelt vor allem das düstere Ende in ein hoffnungsvolles.

Unfreundliche Ratten

Gemma Vannuzzi und Wenzel Brücher als Tänzerin und Soldat meistern bravourös den Grat zwischen erzählendem und darstellendem Theater. Schaffen so Distanz und verwickeln zugleich die Zuschauer tief ins dramatische Geschehen. Zeit zum Nachdenken, was sehe ich? Die Abenteuer untermalt von einer Stimm-, Geräusch- und Klangkulisse, erzeugt von den Akteuren an hübsch vorsintflutlich wirkender Elektronik (Bühne und Kostüme: Nanako Oizumi).

Die Tänzerin begegnet dem Papierdrachen und wird von einer Elster in ein Nest von gierigen und gelangweilten Küken entführt: Here we are now, entertain us! Derweilen der Soldat von einem bösen Kind in ein Papierschiff verfrachtet, landet im unheimlichen Kanal, wo er sich ausgerechnet mit Madonnas „Like A Prayer“Mut zusingt. Und wo er sehr unfreundlichen Ratten begegnet: „Passkontrolle!“

Ende gut

„Der Zinnsoldat und die Papiertänzerin“ verhandelt raffiniert „erwachsene“ Themen für Kinder. Fremdheit und Zuhause sein, das Alleinsein oder die Verbundenheit mit einem anderen Wesen („Und dann denk ich an dich“). Vannuzzi und Brücher sind tolle, variable, berührende Führer durch diese realistischen und Seelenlandschaften. Man freut sich mit ihnen zum heiteren Schluss: Denen geht´s endlich gut! Nach 65 Minuten langer, langer Applaus.

Von Christian Pichler