Die viel besungene Motette „Locus iste“ des Meisters stand am Freitag nicht am Programm, aber der Alte Dom war genau der richtige Ort für das Brucknerfestkonzert, zu dem die Besucher scharenweise strömten.
Am 20. November 1864 erlebte Bruckner die Uraufführung seiner ersten der drei großen Messen, die d-moll Messe, und hatte damit großen Erfolg. Es gab aber noch mehrere Gründe für die ausgewählte Kirche, sodass der ganze Abend wie eine historische Klammer über dem zweistündigen Geschehen lag, das am Ende dem Publikum erst so richtig bewusst wurde, dann aber mit tosendem Beifall endete.
Die Ausführenden des Programmes, dessen Konzept wieder ein hohes Lob verdient, verwiesen durch Ausbildung und Herkunft auf ihre besondere Affinität zu Bruckners Werk. Etwa der Hard-Chor aus der Linzer Liedertafel „Frohsinn“, wo Bruckner selbst sang und Chormeister war, der mitwirkende Männerchor der ehemaligen St. Florianer Sängerknaben zur Erinnerung, dass Bruckners Karriere bei ihnen begann und von der Florianer Orgel in die große Welt gelangte. Oder die d-moll Messe, die das barocke Spitzenensemble L’Orfeo unter der unvergleichlichen Pultmeisterin Michi Gaigg zur Hauptattraktion des Konzertes machte.
Übrigens – irgendwann vor 17 Jahren stellte sich der Hard-Chor in dieser Kirche vor, wie vom Himmel gefallen, gleich so auffallend klangsicher und bis heute überall so gefeiert, dass er seinem routinierten Leiter Alex Koller jedes Mal zur Ehre gereicht. Diesen Eindruck hatte man stark in Bruckners herrlichem „Ave Maria“, im Psalm 112 B-Dur und erst recht in der besagten Messe, die mit den ausgesuchten Solisten Martha Matscheko, Ida Aldrian, Markus Miesenberger und Matthias Helm großartig besetzt war. Dass Bernhard Prammer seine Meisterschaft an der Orgel zur vollen Stärke steigerte, zeigte sich in zwei Werken von Bruckners Weggefährten Karl Borromäus Waldeck (1841-1905), der g-moll Fantasie, und dem jüngeren Johann Baptist Schiedermayr (1779-1840), einem der wichtigsten Bruckner-Schüler. Die Prammer von dem 2016 verstorbenen Zeitgenossen Rupert Gottfried Frieberger gewidmete Komposition, ein Bruckner-Mosaik, meinte es besonders gut mit den Themen des Sinfonikers Bruckner, als es Friebergers bekannte Improvisationskunst beweisen hätte können.
Insgesamt ein emotional gefordertes Großereignis im Brucknerjahr. Daher seien abschließend noch ein paar Gedanken zu einem glücklichen Bruckner gestattet, mögen die Momente rar gewesen sein. Wäre der Domorganist in Linz geblieben, hätte sich womöglich sein kompositorischer Umkreis über die d-moll Messe hinaus nicht erweitert. Hätte er die für ihn wichtige, 18-jährige Freundschaft mit Richard Wagner erfahren, den Zugang zur musikalischen Aussage seiner Gegenwart gefunden? Die hohe Romantik Wagners hat er in ein katholisches Barock umgewandelt. Solche Gedanken bewegten vielleicht die Konzertbesucher und alle mitgestaltenden Künstler. Mit gesammelter Kraft haben sie den Ansturm auf die Himmelpforte angesetzt. Ein Blick in ihre Partituren genügte, um das göttliche Glühen in der Kirche als Locus iste spüren zu lassen.
Von Georgina Szeless