Der 11. Juli 2024: Ein denkwürdiges Datum. An seinem 97. Geburtstag dirigiert Herbert Blomstedt, Legende seiner selbst und langjähriger Ehrendirigent der renommierten „Bamberger Symphoniker“, dieses großartige Orchester in der Stiftsbasilika St. Florian. Auf dem Programm des 13. Abends der aktuellen Stiftskonzerte steht Anton Bruckners letzte Symphonie, die unvollendete „9.“ in d-Moll.
Der greise Dirigent wird, vom Konzertmeister behutsam gestützt, zum Pult geleitet, wo er, vom anschwellenden Publikumsapplaus herzlich begrüßt, auf einer „sicheren Bank“ Platz nimmt und sein Dirigat beginnt. Auf fast unhörbar leisem Tremolo baut sich der Kopfsatz der Symphonie auf, der wie ein monumentales Resümee aus den Erfahrungen des Komponisten mit seinen vorangegangenen symphonischen Werken wirkt.
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Und siehe da: Aus dem eben noch eher gebrechlich aussehenden Maestro wird ein vitaler Architekt. Er zählt keine Ziegel, sondern baut mit spezieller Gestik eine Kathedrale aus der genialen Musik Bruckners.
Diese Hinwendung zu den essenziellen Grundstrukturen schafft enorme dynamische Kontraste und einen spannungsreichen, originellen Aufbau; sie hat aber zur Folge, dass das Orchester in den Details wie Einsätzen im sehr fordernden Zusammenspiel oft auf sich allein gestellt ist. So werden heikle Übergänge da und dort zur Zitterpartie, die aber fast immer gut ausgeht.
Strahlendes Blech lässt die Basilika förmlich vibrieren; dazu kontrastierend sorgen die souveränen Holzbläser und Streicher für zauberhafte Phasen akustischer Regeneration. Wie sehr Bruckner die Zukunft bereits vorausahnt, zeigen Scherzo und Adagio: In ersterem trumpfen hämmernde Rhythmen mit einer Intensität auf, die verstärkte Rockmusik unserer Tage als zahm erscheinen lässt; letzteres hingegen wartet mit exzeptionellen Intervallen und Tonfolgen auf, die schon die musikalischen Revolutionen des 20. Jahrhunderts ankündigen.
Es ist ein kunstvoller Abgesang, den Blomstedt und die Bamberger aber nicht resignativ, sondern ungeheuer tröstlich und optimistisch ausklingen lassen. Minutenlang beherrscht die Stille der Ergriffenheit den Raum, bevor jubelnder Applaus aus vollem Haus losbricht und in Standing Ovations mündet. Die Zuhörer, an der Spitze LH Thomas Stelzer und Propst Johann Holzinger, sind Zeugen eines wohl nicht mehr wiederholbaren künstlerischen Ereignisses geworden.
Nachzuprüfen in einer Aufzeichnung des TV-Senders „arte“ am 8. September 2024.
Von Paul Stepanek