Er machte Hitler populär

Oliver Rathkolbs intensive Biografie über Baldur von Schirach

Baldur von Schirach
Baldur von Schirach © AFP Photo France Presse Voir

Er war Reichsjugendführer des Dritten Reiches und Reichsstatthalter von Wien. Sein größter „Verdienst“ war es aber wohl, Hitler populär gemacht zu haben.

Der Wiener Zeithistoriker Oliver Rathkolb rollt das Leben von Baldur von Schirach (1907-1974) in seinem neuen Buch „Schirach. Eine Generation zwischen Goethe und Hitler“ von den familiären Wurzeln bis zum bitteren Ende in aller Ausführlichkeit auf und zeichnet ein vielschichtiges Bild, das er mit neuen Informationen und einer Menge an Aufnahmen unterfüttert.

Die erste umfassende Schirach-Biografie, die als Wissenschaftsbuch des Jahres nominiert war, ist akribisch recherchiert und sehr spannend zu lesen.

Die Familie von Schirach war alter Adel, Baldur zur Hälfte Amerikaner, die ersten fünf Lebensjahre wuchs er in den USA auf. Die Familie kehrte schließlich nach Deutschland zurück.

Propagandist und Verführer der Jugend

Hitler fand eine große Anhängerschaft unter den Adeligen, die die Weimarer Republik strikt ablehnten und an einer starken Führerfigur interessiert waren. Nach den Wahlen in Deutschland 1932 hatte keine andere Partei so viele adelige Abgeordnete wie die NSDAP. So waren auch Baldur und sein Vater früh fasziniert von Adolf Hitler.

Baldur von Schirach suchte schon als Jugendlicher intensiv die Nähe des Führers, heiratete schließlich die Tochter von Hitlers Leibfotografen Heinz Hofmann, Henriette. Gemeinsam mit seinem Schwiegervater gab er unterschiedlichste Publikationen heraus, die in riesigen Auflagen erschienen, organisierte Auftritte für Hitler und trug damit wesentlich zum Mythos des „Führers“ bei.

So schaffte Schirach es bis in den innersten Kreis um Hitler. Als Nachwuchshoffnung stieg er zum „Reichsjugendführer“ auf, richtete eine ganze Generation darauf ab, ihr Leben, falls nötig, für Hitler zu geben. Mit Eigenmächtigkeiten zog sich Schirach jedoch mehr und mehr den Unmut von Goebbels, aber auch Hitlers zu. Man schickte ihn 1940 als Reichsstatthalter nach Wien.

Auch aus der Ferne wurde die Beziehung zu Berlin nicht wieder besser: Im Gegensatz zu seinem Vorgänger dort, verstand sich der Schöngeist Schirach mit den Wienern, seine Betonung der österreichischen Kultur sorgte jedoch in der Reichszentrale für wachsendes Misstrauen. Und leistete aus der Sicht von Rathkolb einen Beitrag zu einem kulturellen Überlegenheitsgefühl der Österreicher, einer Art verdeckten Österreich-Identitität, die die Bewältigung der Vergangenheit hierzulande erschwert habe.

Beim Nürnberger Prozess 1946 war es Schirachs Taktik, Reue zu zeigen, aber jede Verantwortung von sich zu weisen. Er bekannte sich als Antisemit, betonte aber immer wieder, an den Massenmorden sei allein Hitler schuld. Damit entkam er dem Galgen, wurde zu 20 Jahre Haft verurteilt. Vieles war damals schwer belegbar oder nur lückenhaft für die Ankläger vorhanden. Daran, dass Schirach von den Deportationen und Massenmorden an den Juden gewusst hat und mit beteiligt war, bleibt bei Rathkolb kein Zweifel.

Die Aufdeckung von heiklen Kontinuitäten nach dem Zweiten Weltkrieg ist eine der „Spezialitäten“ des Vorstandes des Institutes für Zeitgeschichte der Universität Wien. Klar, dass er diese auch im Zusammenhang mit seinem Protagonisten beleuchtet. Henriette von Schirach soll nach dem Krieg mit Unterstützung des einstigen NS-Netzwerkes wieder an Kunstschätze, die sich die Familie von Juden angeeignet hatte, gekommen sein. Für ihren Enkel, den Schriftsteller Ferdinand Schirach („Gott“, „Terror“) hat die Familie damit „den Raub an diesen Familien durch das Herausverlangen dieser Kunstwerke wiederholt“.

Von Melanie Wagenhofer