Er rüttelt an unserem Grundvertrauen

Schau „Realität und Fiktion“ zeigt Bilder der Angst von Gottfried Helnwein in der Albertina

Gottfried Helnwein: The Disasters of War 49, 2016
Gottfried Helnwein: The Disasters of War 49, 2016 © Albertina/Dauerleihgabe von Gottfried und Renate Helnwein

Wie mithalten mit der Überdimensionalität unserer Zeit, mit Fakten, die unweigerlich zum Spektakel werden müssen? Mitte der 1980er-Jahre hat der 1948 in Wien geborene Gottfried Helnwein mit Monumentalem geantwortet. Er wurde lauter, direkter, monströser.

„Wahrscheinlich hatte ich nie mehr Angst als damals, als ich ein Kind war“, sagt der Generaldirektor der Albertina, Klaus Albrecht Schröder, in dessen Haus der nicht unumstrittene Künstler eingezogen ist. „Es sind Bilder der Angst“, sagt Schröder über die 43 von Kuratorin Elsy Lahner ausgewählten Werke, geschaffen in den vergangenen drei Jahrzehnten.

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Horror geschieht im Kopf

Gewalt sehe man kaum, sagt Schröder. Der Horror geschieht im Kopf. „Epiphany III (Presentation at the Temple 2)“: Neun versehrte Männer, die Gesichter wiederhergestellt, entstellt, verzerrt. Sie umringen einen Tisch, auf dem ein kleines Mädchen im weißen Kleid liegt. Vielleicht schlafend, vielleicht bewusstlos. Was ist geschehen, was wird noch passieren? So exakt und detailreich Helnweins faszinierende Malereien sind, so viel Raum lassen sie für Verschwommenes, für das, was uns nachts heimsucht, wenn der Schlaf unser Unbewusstes nach vorne spült. Wo Dinge zusammenfinden, die wir noch nie im Einklang gesehen haben, deren Logik sich uns aber plötzlich erschließt. Hitler und Micky Maus, im Lächeln verbunden. Platz für Projektion, das müsse Kunst laut Helnwein haben. Und — ob wir wollen, es ertragen oder nicht — wir finden uns alle in seinen Bildern der Angst.

Mit Kriegen, aber auch dem überdimensionierten Waffenbesitz in den USA, setzt sich der 75-Jährige immer wieder auseinander, Kinder spielen häufig die Hauptrollen. Mädchen und Buben mit Waffen in den Händen, die ihnen inhärente Unschuld weiß getüncht betont. Andere haben ihre Köpfe bandagiert, Blut sickert durch. Nicht die unsichtbare Wunde trifft uns tief, die Möglichkeiten, wie sie entstanden ist.

Sein eigenes Aufwachsen mit den Helden aus Walt Disneys Hand bekommt im Werk von Helnwein Platz, Donald Duck, Micky Maus an den unvorstellbarsten Orten, letztere ist auch Sujet der Ausstellung „Realität und Fiktion“, die bis 11. Februar 2024 in der Albertina zu sehen ist. In den 90ern wendet sich der Künstler einem Phänomen zu, das er nicht aus der eigenen Kindheit kennt und das ihm erst fremd ist: Manga. Die künstlichen und häufig sexualisierten Figuren aus japanischen Comics stellt er Katastrophenszenarien gegenüber, wobei er auch diese überhöhe wie in einem Hollywood-Film oder einen Videospiel, wie Kuratorin Lahner sagt.

Antworten verweigert er

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Die Größe seiner Werke ist in der Schau auf vielerlei Ebenen beeindruckend, Monumentales gibt es übrigens bis Ende Oktober noch auf dem Wiener Ringturm zu sehen, den Helnwein mit einem 3000 Quadratmeter großen blutverschmierten Mädchengesicht eingehüllt hat. Gottfried Helnwein ist immer mehr, hantiert immer entlang einer Grenze und diese Gratwanderung macht sein Werk so sehenswert, denn es rüttelt an unserem Grundvertrauen. Antworten oder Moral verweigert er in seinen Arbeiten, seine Persönlichkeit reißt in mancher Hinsicht ebenso auf wie überdimensionale Gemälde, auf denen Hitler umgeben von ideologischen Gefolgsleuten marschiert, eine madonnenhafte Frau Nazi-Schergen die nächste Generation präsentiert. Antworten geben seine Bilder nie, betont Helnwein, Fragen sollen sie aufwerfen.

Anlass der anspruchsvollen Schau ist der am 8. Oktober über die Bühne gegangene 75. Geburtstag des inzwischen in Irland und den USA lebenden Künstlers. Doch einen Grund brauche es eigentlich nicht, so Schröder. „Gottfried Helnwein in Österreich zu zeigen, ist immer wieder notwendig!“

Beste Wahl: Sich stellen

Denn wie kaum ein anderer präsentiert er uns das, wovor wir uns am meisten fürchten. Als Erwachsene wissen wir inzwischen, dass Horror-Bilder auch in der Realität existieren, dass Helnweins Hyperrealismus uns einholt, und wir keine bessere Wahl treffen können, als uns zu stellen. Aber Gottfried Helnwein konfrontiert uns auch mit jenen Monstern, die einem als Kind den Schlaf rauben, weil sie unter dem Bett nur darauf warten, dass wir einschlafen …

Von Mariella Moshammer

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