Mit September hat Startenor Jonas Kaufmann das Intendanten-Zepter von Bernd Loebe bei den Tiroler Festspielen Erl übernommen. Im APA-Interview kündigte Kaufmann an, dass es unter seiner Ägide auf der Bühne „echte Auseinandersetzung statt unnötiger Provokationen“ geben werde. Politisch gab er sich pragmatisch: „Weder links noch rechts“ seien per se gut oder schlecht für die Klassik. Auch gelte es, sich – wegen sinkender Fördermittel – um weitere private Sponsoren umzusehen.
APA: Herr Kaufmann, wie geht es Ihnen in Ihrer neuen Rolle als Erl-Intendant? Haben Sie sich schon gut eingelebt?
Jonas Kaufmann: So viel Zeit war ja noch nicht. Wir hatten im Herbst den ersten Programmpunkt. Ausgerechnet da hatte ich Corona, konnte somit leider nicht mit dabei sein. Wenn ich dann aber die ersten Abende im Dezember hier gewesen sein werde, dann habe ich mich wohl langsam eingewöhnt. Wichtiger als meine persönliche Eingewöhnung ist es aber ohnehin, die Organisation und die Mitarbeiter hinter den Festspielen fest im Blick zu haben. Dort ist es wie in der Wirtschaft: Es geht darum, ein Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen und die Sachen gemeinsam anzupacken, wie in jedem anderen Business auch.
APA: Abseits von diesem „Business“ und diesem Netze knüpfen: Welche eigene künstlerische Handschrift wollen Sie in Erl etablieren und pflegen?
Kaufmann: Ich habe diese Position nicht angenommen, weil ich mich unbedingt von meinen Vorgängern Gustav Kuhn oder Bernd Loebe absetzen und unterscheiden möchte. Ich habe mich schlicht in diesen Ort verliebt und sehe, wie viel künstlerischer und struktureller Aufwand hier bereits betrieben wurde. Ein solcher Ort hat es verdient, nicht nur als Nebenspielstätte angesehen zu werden. Es gilt aus meiner Sicht jedenfalls ein Programm zu machen, das von vielen Bevölkerungsschichten akzeptiert werden kann. Ich will dazu Traditionelles mit Modernem verknüpfen, denn in Erl hat alles seine Berechtigung.
APA: Sie sind ja langjähriger, tourender Sänger und nun eben neuerdings erstmalig Intendant. Ist das künstlerisch fruchtbar oder doch eher eine Doppelbelastung?
Kaufmann: Grundsätzlich halte ich diese Doppelrolle durchaus für fruchtbar. Ich bin auch überzeugt davon, dass Menschen, die bereits Bühnenluft geschnuppert haben, sehr gut dafür geeignet sind, ein solches Haus zu führen. Ich zum Beispiel weiß dadurch, was es heißt, wenn sich fünf Minuten vor einer Premiere noch sämtliche Gegebenheiten ändern. Abseits davon ist es natürlich schon eine doppelte Belastung. Ich lege als Sänger schon viele Kilometer zurück und durch Erl wird das garantiert noch mehr werden.
APA: Klassik gilt ja vielen als elitär. Haben Sie ein „Geheimrezept“, um das zu ändern?
Kaufmann: Natürlich nicht. Aber es gibt viele Projekte, die daran arbeiten, den Zugang niederschwelliger zu gestalten. Ich denke da etwa an die große Open-Air-Veranstaltung „Oper für Alle“ in München. Nun wird Open-Air in Erl vermutlich schwierig. Ich will aber nachhaltig daran arbeiten, dass sich beispielsweise ein Opernbesuch in Erl etwas mehr nach Freizeit und Urlaub anfühlt anstatt nach Arbeit, bei der man an den richtigen Stellen klatschen oder sich möglichst richtig benehmen muss.
APA: Gibt es also in dieser Sache zumindest ein Geheimrezept, wie das gelingen kann?
Kaufmann: Musik ist ja geradezu dazu entstanden, um Gefühle auszulösen. Und hier geht es um die ganz großen Emotionen, die von Klassischer Musik transportiert werden. Viele Melodien sind so berührend, dabei leicht zugänglich und können gar bei den Zuhörern Begeisterung wie bei einem Popkonzert auslösen. Wichtig ist nur, dass die Inszenierung nicht gegen diesen Effekt arbeitet, sondern sich ehrlich mit dem Werk auseinandersetzt anstatt unnötige Provokationen in den Vordergrund zu rücken. Ich will den Menschen einfach die Chance geben, die echte Welt, die oft mehr Sorgen als Freude bereitet, für eine gewisse Zeit zu verlassen.
APA: Dennoch könnte es ja schwerer für die klassische Musik und Opernhäuser werden. Stichwort politischer Rechtsruck, aufgrund dessen weniger Wert auf Hochkultur und klassische Musik gelegt werden könnte.
Kaufmann: Weder links noch rechts sind per se schlecht für die Musik und für die Klassik. Am Ende kommt alles auf das Geld an, unabhängig davon, ob das Land links oder rechts wählt. Jede Regierung und jede Gesellschaft legt fest, wo sie die Schwerpunkte setzt. Geld ist aber generell nie beliebig viel vorhanden. Wir baden aktuell noch das Haushaltsdefizit aus Covid-Zeiten aus. Das Geld wird also weniger. Die Fördermittel werden somit bei jeder Regierung weniger werden.
APA: Das heißt, Erl und Kulturbetriebe überhaupt müssen sich breiter und auch wirtschaftlicher aufstellen?
Kaufmann: Wir werden in zehn Jahren wahrscheinlich anders dastehen als heute. Zum Glück haben wir einen Hauptsponsor, mit dessen Hilfe das Projekt Erl überhaupt an den Start gehen konnte. Aber es gilt, den Blick auch in Richtung weiterer Sponsoren zu lenken. Es gibt in Tirol Sponsoren, die Erl fördern wollen. Darum muss man sich rechtzeitig kümmern, denn es ist naiv davon auszugehen, dass das Geld einfach immer weiter fließen wird.
APA: Herr Kaufmann, gibt es etwas, das Sie zum Abschluss noch sagen möchten, etwas das Ihnen am Herzen liegt?
Kaufmann: Ja. Kommt alle nach Erl. (lacht)
(Das Gespräch führte Markus Stegmayr/APA)